Die Geschichte: hat man schon tausendfach gesehen. Aber so noch nie: Als flirrende, rasante Abgrunds-Vermessung mit einem erneut entfesselt aufspielenden Nicholas Ofczarek.

Darum geht’s: Die Wahrheit wartet nicht, schon gar nicht die unangenehme. Und ist sie denn mal draußen, überrollt sie gnadenlos jeden, der sich nicht mit ihr zu arrangieren oder zumindest auszusöhnen versteht. Sind solche Wahrheiten zudem politischer Natur und von erhöhtem öffentlichem Interesse, ist die Lauffeuerlegung indes sowieso kaum noch zu verhindern. Und zack, zack, zack, ist die Zeitenwende schon eingeläutet. Da hilft dann auch kein Bitten, Leugnen oder Ablenken – wie uns nicht zuletzt die aktuellen österreichischen innenpolitischen Beispiele unzweifelhaft vor Augen zu führen wissen.

Dabei ist es ohnehin gerade erst einmal zweieinhalb Jahre her, dass nicht nur die einschlägig interessierte Öffentlichkeit in Echtzeit Anschauungsunterricht in Sachen Lügengebäudeeinsturz und Skandaleskalation erhielt. Wir erinnern uns (ob wir wollen oder nicht): Mittelmeerinsel, Villa, Red Bull Brother from Austria, falsche Oligarchennichte, echte Zehennägel, „a bsoffene Gschicht“ mit Bereitschaft zur Korruption und Medienunterwerfung, Tango Korrupti vor geheim laufenden Kameras. Kaum hatte das kompromittierende Video das Licht der Welt erblickt – oder zumindest der Zusammenschnitt – ging parallel zum allseits bekannten Polit-Erdbeben auch das Wettrennen um die erste filmische Ausschlachtung des verlockend saftigen True-Crime-Stoffs los. Speed kills, um im Polit-Sprech zu bleiben. Das Rennen machte schließlich der Abo-TV-Anbieter Sky, der aus dem Sachbuchbestseller der unmittelbar an der Aufdeckung beteiligten SZ-Reporter Frederik Obermaier und Bastian Obermayer eine vierteilige Miniserie schmieden ließ.

Obwohl in Die Ibiza Affäre (der Bindestrich ging wohl in der Marketing-Abteilung verloren) ebenjener verhängnisvolle Abend auf den Balearen naturgemäß im Zentrum steht, ja, stehen muss, geht es dem Kreativteam dahinter jedoch erkennbar um mehr, als diesen detailgetreu zu rekonstruieren. Sondern auch darum, ein umfassendes, wenngleich mit reichlich fiktionalen Freiheiten ausgeschmücktes Bild der gesamten Entstehungs- und Nachgeschichte zu zeichnen – oder genauer: das hinterlassene Puzzle halbwegs nachvollziehbar zusammenzusetzen. Entsprechend erratisch gestaltet sich das Treiben auf der Timeline – es geht munter vor und zurück, stets auf den Fersen der beiden Fädenzieher, dem moralisch motivierten Anwalt (David A. Hamade) und dem eher monetär motivierten Privatdetektiv (Nicholas Ofczarek), die sich nach einem ersten vergeblichen Versuch, Strache (Andreas Lust) ans Messer zu liefern, daran machen, den FPÖ-Chef mit der unfreiwilligen Hilfe von dessen Adlatus Gudenus (Julian Looman) aktiv in die Finca-Falle zu locken.

Durchaus mit über die heimischen Grenzen herzeigbarer Bravour absolviert Regisseur Christopher Schier (Tatort) die Challenge, einen verschachtelten, komplexen Plot gut verständlich zu präsentieren und darüber hinaus auch noch ein wildes Genre-Gemisch aus Spionagethriller, Satire und Sittengemälde unter einen Sonnenhut zu bringen – einem in den entscheidenden Rollen treffsicher besetzten Cast und einigem stilistischen Einfallsreichtum sei Dank. Denn auch wenn einen nach langjähriger Mitverfolgung der Causa inhaltlich kaum noch was verblüffen kann, gerät man doch öfter mal ins Staunen. Wenn etwa das Kasperltheater oder Animationen zum Einsatz kommen, um Hintergründe begreiflich zu machen. Oder wenn Tierdokus herangezogen werden, um augenscheinliche Aktions-Analogien hervorzuheben. In diesen und anderen Momenten der Beschleunigung und Zuspitzung, in denen der Irrsinn der realen Vorkommnisse seine Entsprechung oder gar Verstärkung in inszenatorischem Wahnwitz findet, macht diese Miniserie ähnlich Laune wie das vierte Vodka-Bull in der balearischen Mitternachtshitze.

Besondere Beachtung: Andreas Lust als nicht allein von der herbeifantasierten Macht berauschter Vizekanzler in spe: überraschend stimmig. Wirklich wuchtig hingegen, erneut, muss man meinen: Nicholas Ofczarek, der seine Rolle als halb Spion, halb Strizzi angelegt und mit jener ihm ureigenen Intensität versehen hat, mit der er jüngst mit Der Pass schon eine Sky-Eigenproduktion auf ein anderes Level zu heben verstand.

Koordinaten: The Big Short; House of Cards; Der große Fake – Die Wirecard-Story; Boss

Anschauen oder auslassen? Anschauen. Auch wenn man die Geschichte schon in allen Facetten kennt und Aha-Erlebnisse entsprechend rar gesät sind, liefern die gewitzte, kurzweilige Umsetzung und der Ofczarek-Boost genug gute Gründe für einen Binge-Abend – der bei einer Gesamtlaufzeit von etwa drei Stunden sogar noch kürzer ausfällt als so manche gegenwärtige ZIB-Sondersendung.

[Geschaut: Gesamte Miniserie]