Der Hype: gewaltig. Das Budget: sowieso. Normal, wenn sich HBO eines der gefeiertsten Games ever annimmt. Die in vielerlei Hinsicht Standards setzende Adaption verhandelt existenzielle Fragen mit eindrucksvoller Ehrlichkeit.

Darum geht’s: Die Geschichte von Videospiel-Verfilmungen ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Für diese Erkenntnis muss man gar nicht erst bis in die Untiefen des leider allzu umfangreichen Schaffens eines gewissen Uwe Boll vordringen, sondern bloß ein gutes Jahr zurückblicken – als sich mit dem Möchtegern-Blockbuster Uncharted ein weiterer Versuch einer Adaption eines sich seit Jahr und Tag allergrößter Beliebtheit erfreuenden Videospiels als kapitaler Bauchfleck entpuppte. Um sich damit mühelos in jene Hall of Videogame Shame einzureihen, in der in den Jahren zuvor u. a. schon Warcraft, Mortal Kombat und Prince of Persia ihren Platz gefunden haben. Indes könnte man ausgiebig darüber streiten, welche Produktionen sich als löbliche Gegenbeispiele anbieten (Silent Hill! Pokémon Detective Picachu?). Oder darüber, ob sich das Phänomen der halbgaren Überführung von jenem spezifischen Medium ins ein anderes auf Filme beschränkt oder auch für Serien gilt (The Witcher: yay or nay?) – und würde dabei schnell den Wald vor lauter Pixel-Bäumen nicht mehr sehen. Schließlich soll es an dieser Stelle ja um jenes brandaktuelle Beispiel gehen, das die Malaise, dass Game-Großtaten keine ebensolche filmischer Natur generieren können, ein für alle Mal der Vergangenheit angehören lassen soll. Weil es, so der Wunsch aller involvierter Parteien, die oft widersprüchlichen Wesenseigenheiten und Stärken von Games und Filmen/Serien, das interaktive sich Einbringen vs. das passive Eintauchen, endlich in würdiger Weise in Einklang bringen könnte.

The Last of Us also, für einen besonders meinungsstarken Teil der Zocker-Community so etwas wie der Heilige Gral der mindestens mitteljüngeren Gaming-Geschichte. Dem schon seit seinem erstmaligen Erscheinen vor zehn Jahren der Ruf vorauseilt, um Hausecken filmischer zu sein als die Game-Konkurrenz – eine Einschätzung, die besonders auf den ausgefeilten, überzeugend geschriebenen, mittels Performance Capture verwirklichten Zwischensequenzen des Spiels, die dem eigentlichen Gameplay mehr als ebenbürtig sind, fußt. Eine bestechende Basis, die nur darauf wartete, als TV-Show umgesetzt und weiterentwickelt zu werden: zur Abwechslung vielleicht ja mal wirklich ambitioniert und versiert – womöglich auch gleich vom Spieleschöpfer selbst, und dann am besten im Verbund mit dem Premium-Seriensender schlechthin? Ready Player One, euer Wunsch ist HBO Befehl: Und so stößt man nun auf Namen wie Neil Druckmann, Mastermind des Games, und Craig Mazin, Creator der exemplarisch apokalyptisch abgefuckten Miniserie Chernobyl, in den Credits dieses zunächst einmal auf neun Episoden angelegten Eintauchens in die Story von Joel und Ellie, die längst als ikonisch bezeichnet werden darf und soll. Und die, das wird die Fangemeinde gewiss entzücken, auffällig nah an der schon so starken Vorlage gebaut wurde – ohne dabei allerdings auf manch raffiniertes Feintuning zu verzichten.

Nach dem Motto never change a winning story finden wir uns auch in der Live-Action-Version in einem alternativen 2003 wieder, in dem der Klimawandel einen Pilz derartig mutieren ließ, dass dieser nun in der Lage ist, des Menschen Hirn und damit Körper zu übernehmen und seine Opfer solcherart in Zombies (die hier korrekterweise „Infizierte“ genannt werden), die ohne eigenen Willen killen, zu transformieren. Weil wir längst alle wissen, dass sich solch Infektionsgeschehen unvermeidlicherweise gleich global abspielt, ist das Ende der Welt, wie wir sie kannten, binnen weniger Tage und Wochen erreicht. Und die bald nur noch sehr wenigen Überlebenden der zusammengebrochenen Zivilisationen dazu verdammt, sich in einer Gemengelage aus Chaos und Gewalt, autoritärem Grundrauschen und natürlich permanenter Todesangst durchzuschlagen, zumeist auf eigene Faust. Überlebende wie Joel (Pedro Pascal, The Mandalorian) und Ellie (Bella Ramsey, Game of Thrones), auf deren Fersen wir nun, gute zwei Jahrzehnte nach Ausbruch der Apokalypse durch ein hochgradig devastiertes Amerika ziehen. Er: ein mit Schusswaffen und Schicksalsschlägen vertrauter Schmuggler, sie: ein abwechselnd unschuldiger wie alberner wie wackerer Teenager mit einer exorbitanten Eigenschaft – als mutmaßlich einziger Mensch, der von einem Zombie gebissen wurde, ohne dabei infiziert worden zu sein, könnte sie den Schlüssel zu einer rosigeren Zukunft der Menschheit in ihren Händen halten. Werden diese zwei vom Schicksal zusammengewürfelten verlorenen Seelen es an jenen anvisierten Ort schaffen, der die Erlösung verheißen könnte? Und wird das Duo auf dem Weg dorthin zumindest der eigenen Erlösung näherkommen? Weil eben – so Binse wie zutreffend – nicht nur das Ziel das Ziel ist, sondern auch der Weg? Selbst, wenn er noch so verschlungen erscheinen mag?

Denn in der Tat sind es nicht nur, aber eben in besonderem Ausmaß die zahllosen reizvollen Abschweifungen von der geraden narrativen Bahn, die diese Endzeit-Mission so fesselnd machen, dass sich Vergleiche mit den melodramatischen Banalitäten, die man von The Walking Dead und Konsorten kennt, nachgerade verbieten. Abschweifungen, die Mazin und Druckmann durchaus auch weit über jene hinausgehen lassen, die aus dem Game bekannt sind, Abschweifungen, die die das Joel-Ellie-Narrativ bisweilen bloß streifen. Exemplarisch hierfür die dritte Episode, die die Geschichte von Bill erzählt, einem vom ohnehin stets superen Nick Offerman in einer Karrierebestleistung verkörperten Prepper, der sich wider (auch eigenes) Erwarten inmitten einer Welt in Trümmern eine idyllische wie unerwartet romantische Utopie einrichten konnte: Das bittersüß bewegendste, auf jeden Fall außergewöhnlichste Kapitel dieser Season und jetzt schon ein Anwärter auf eine der stärksten TV-Stunden der freilich noch sehr jungen Saison 2023. Dabei ein Paradebeispiel für die kühne Herangehensweise an diese Adaption, die es, ohne den Haupthandlungsstrang anzurühren, stets von Neuem schafft, das Universum geschickt zu erweitern und der Serie damit einen Bonus-Legitimationsgrund zu geben. Der Schwerpunkt auf den Figuren, das Ausloten ihrer Tiefen und Untiefen, die größte Stärke des Spiels, entpuppt sich dabei wenig überraschend, aber sehr überzeugend als die größte der Serie. Erkennen lässt sich dies zuvorderst, natürlich, am Ersatz-Eltern-Kind-Gespann im Handlungsherzen und dessen sich langsam entwickelnden, emotional komplexen Bindung: Hier wird dank des (entgegen mancher Vorab-Unkenrufe) eindrucksvollen Darstellerduos jeder Klischeeverdacht sofort im Keim – oder in der Spore? – erstickt.

Dass The Last of Us dabei in seinen ruhigen Momenten mindestens genauso mitreißend ist wie in seinen spannungs- und spektakelgetriebenen lässt sich aus seinem tiefgreifenden Verständnis für die Charaktere und ihre verschlungenen Motivationen und moralischen Struggles herleiten. Weil einem diese Show mit Bestimmtheit vor Augen führt, dass ebenjene Struggles universeller Natur und damit für uns alle von Belang sind. Weil sie sich im Zuge dessen auch unangenehme Fragen zu stellen traut: Was, wenn es nicht nur darum geht, dass man überlebt – sondern auch um das Warum? Und das Wie? Und: Rechtfertigt der Zweck des Überlebens das Überschreiten jeglicher moralische Grenze? Wenn ja, um welchen Preis für einen selbst und die eigene Seele? Wie bewahrt man sich im alltäglichen Albtraum einer komplett upgefuckten neuen Normalität überhaupt den Mut zum Weitermachen? Den Glauben an die Menschheit, den Sinn des Ganzen? Wie schon das Spiel findet auch die Serie darauf keine einfachen, aber ehrliche Antworten. Die dafür dann auch mal verstörender als selbst die schlimmsten Monster sein können. Was es heißt, Mensch zu sein und zu bleiben, dazu liefert diese aufregende wie aufwühlende, wiederholt schmerzhafte, mitunter unerwartet lustige Serie über den selenzermalmende Last des Verlusts, die kaum verkraftbaren Kosten des Durchhaltens, aber auch das Heraufbeschwören der Zuversicht an einem Ort der allumfassenden Tragödie einige restlos gehaltvolle Gedanken. Es lohnt sich, sie sich anzuhören. Auch oder vor allem dann, wenn man von Game-Adaptionen und/oder postapokalyptischen Schreckensszenarien schon genug zu haben glaubt.

Besondere Beachtung: Verdient selbstredend auch jener Aspekt, für den bei all dem Lob für Charaktere, Darsteller und Erzählweise oben grad kein Platz mehr war: der ästhetische. Selbst ohne die finale Fassung aller Folgen gesehen zu haben (mitunter war die CGI in den Vorab-Screener-Versionen noch work in progress) muss man geflasht festhalten, dass diese verfallene Welt in visuell berauschender Manier aus dem Game überführt wurde. Vom aufwändigen Produktionsdesign (Budget pro Folge gefühlt das, was The Walking Dead für eine ganze Staffel ausgab) bis zur Effektarbeit, die die Mensch-Pilz-Kreaturen furchterregende Fernsehrealität werden ließen sieht hier wirklich alles echt atemberaubend und vor allem: filmisch aus. Jeder Cent des generösen HBO-Budgets scheint an der richtigen Stelle investiert worden zu sein.

Koordinaten: Station Eleven; The Walking Dead; Chernobyl; The Road

Anschauen oder auslassen? Anschauen. Und zwar ungeachtet dessen, ob man mit der Vorlage bereits vertraut ist. Denn eines der vielen Komplimente, das man diesem neuen Standardsetzer auf dem Sektor der Spieleverfilmungen machen kann, ist, dass man über kurz oder lang sowieso nicht mehr dran denken wird, dass dieses Deluxe-Fernseherlebnis auf einem Game basiert. Und auch wer glaubt, hier bloß ein weiteres Stück Postapokalypse-Horror zu sehen zu bekommen, wird freudig überrascht werden: Weil die Kreativköpfe Druckmann und Mazin im Unterschied zu so vielen ähnlich gelagerten Formaten letztlich an den Menschen stärkeres Interesse zeigen als an den vielgestaltigen Gefahren, denen selbige zu entwischen trachten, entwickelt ihre dystopische Geschichte in unerwartetem Ausmaß Tiefe und emotionale Kraft. Gleichermaßen geradlinig wie visuell ambitioniert erzählt, bei allem Horror, aller Härte glaubhaft die Hoffnung in einer hoffnungslosen Welt hochhaltend belegt The Last of Us in eindrucksvoller Manier, dass immer noch neues Leben im Bewegtbild-Reich der wandelnden Toten steckt.

[Geschaut: gesamte Staffel]