Die Jahresbilanz der deutschsprachigen Streaming-Saison, ein Vergleich der wichtigsten Abo-Abruf-Services: Wie relevant blieben die Platzhirschen im stetig im Umbruch befindlichen Business, wie behaupteten sich die Neulinge?

Scheint da wirklich ein Sturm aufzuziehen am Horizont der bis eben noch so heilen Hype-Welt des Streamings? Einer Welt, in der zuletzt mehr als eine halbe Dekade lang Goldgräberstimmung herrschte, die für ein kaum noch zu überblickendes Aufgebot von immer neuen Streaming-Services sorgte, die dann wiederum ein kaum noch zu überblickendes Angebot von täglich neuen Sendungen und Formaten bereitstellten? Die Zeichen, die da aus den USA zu vernehmen sind, lassen jedenfalls vermuten, dass die so hitzig wie mit irrem monetären Aufwand geführten Streaming Wars um den TV-Markt der Zukunft dabei sind, merklich abzukühlen. Die Zeiten, in denen Netflix, Disney, HBO und Co. auf der Jagd nach so vielen Stunden an neuem Content wie möglich mit dicken Schecks so gut wie alles durchwinkten, was halbwegs interessant klang, sie scheinen vorerst vorbei. Da braucht man sich nur anzusehen, wie bei HBO Max derzeit nach dem Zusammenschluss von Warner und Discovery die Fetzen fliegen, wie der Streaming-Darling der letzten Jahre ganze Serien und Filme – mitunter Publikumslieblinge, mitunter Neues oder noch nicht Ausgestrahltes – auf Nimmerwiedersehen ins digitale Lager räumt, um Kosten zu sparen. Die Gürtel werden in den USA angesichts des sich verlangsamenden Aboaufschwungs bei gleichzeitiger Kostenexplosion jedenfalls derzeit definitiv enger geschnallt.

Obwohl es im deutschsprachigen Raum noch nicht ganz so arg zugeht – was wohl daran liegen mag, dass es hier (noch) kein HBO Max gibt! – ist die Branche hier ebenfalls augenscheinlichen Umbruchsprozessen ausgesetzt. Zum einen gab es auch 2022 wieder neue Mitbewerber zu verbuchen, zum anderen stehen bei manchem Anbieter die Zeichen auch bereits auf radikaler Veränderung – wenn nicht überhaupt schon das baldige Streichen der Segel feststeht, wie bei einem unlängst erst neu gebrandeten Service. Es lohnt sich daher durchaus, die zehn wichtigsten Streaming-Player im DACH-Raum einmal ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen: Wie haben sich Netflix und Prime Video, Sky und Disney, Apple und RTL im abgelaufenen Jahr aufgestellt? Welches Angebot hat sich verbessert, welches stagnierte dagegen eher? Wessen Programmakzente konnten – nicht zuletzt auch ganz subjektiv den Schreiber dieser Zeilen – beeindrucken? Und wie haben sich die Neuzugänge in ihren ersten Monaten geschlagen? Die großen Zehn des Streaming: from zero to hero!

10. Discovery+

Zugegeben: das eigene televisionäre Tête-à-tête mit Neuling Discovery+ war kurz, hinterließ jedoch solche Spuren, dass eine Wiederaufnahme des Vertragsverhältnisses eine ähnlich geringe Wahrscheinlichkeit besitzt wie ein Klimaschutzabkommen, das diesem Namen gerecht wird. Ursprünglich wurde das Abo ja wegen der einzigen Möglichkeit, an dieser Stelle die US Open (für die Discovery+ nach der Eingemeindung des Eurosport Player ebenso erste Anlaufstation ist wie für die Australian und die French Open) schauen zu können, abgeschlossen; doch darum – also um Tennis- oder überhaupt Sport-Angebote – soll es hier ja gar nicht gehen. Sondern um den Rest des Portfolios, das sich nahezu vollumfänglich aus dem Segment der „Doku“-Unterhaltung speist. Kein Freund von Gänsefüßchen, aber für Show-Formate wie Dating hinter Gittern, Sex Tape Deutschland, Mein besessenes Haustier, Mein Leben mit 300 Kilo und noch tausend artverwandten Produktionen, die selbst den most basic fernsehjournalistischen Maßstäben mit Anlauf nicht genügen wollen, sondern nur dem ungenierten Menschen-Vorführen und/oder der billigen Gefühlsmanipulation gehorchen wollen, kann man sich die „“ bei Doku halt auch nicht ersparen. Und ja, auch die zumindest theoretisch reizvoll klingende Armie-Hammer-Abrechnung House of Hammer ist leider richtig schlimm missraten. Die Steigerung von Trash-TV, sie heißt Schrott-Streaming – und es fühlt sich bei Discovery+ leider etwas zu gut aufgehoben.

9. Lionsgate+

The service formerly known as Starzplay. Und auch der Service, den es gar nicht mehr so lang geben wird. Dass der internationale Ableger des US-Pay-TV-Senders Starz nur wenige Monate nach dem eigenen Re-Branding als erstes Opfer der unvermeidlichen Gesundschrumpfung des deutschsprachigen Streaming-Marktes die Segel streicht, überrascht allerdings nur wegen der Schlagartigkeit der Ereignisse. Denn die Frage, warum man sich Starzplay auf Apple TV oder Amazon Prime als Add-on dazubuchen sollte, wussten wahrscheinlich zuletzt wohl nicht mal mehr notorische Viel-Streamer zu beantworten. Wenn man nicht eben ein ausgeprägtes Faible für Historiendramen hegt (hier gibt es mit The Spanish Princess, The Great und The Serpent Queen bis zu aktuell Gefährliche Liebschaften eine schwere Schlagseite im Roster) oder echt so tief in die Welt von Power eintauchen will, dass man noch das x-te Spin-off-Book aufschlagen muss, wusste die Welt, in die man durch das Tor des Löwen eintrat, zuletzt nur noch wenig Bewegendes zu bieten. Im Filmbereich sowieso nicht – und selbst im Segment der Serien immer seltener. Zumal die interessantesten Shows entweder schon ein natürliches Ablaufdatum hatten (exzellente Miniserien wie Normal People, Station Eleven oder It’s A Sin), mittlerweile ein (unrühmliches) Ende gefunden haben (wie Killing Eve) oder ohnehin lizensiert waren und deshalb entsprechend wohl bald anderswo weiterverfolgt werden können (wie eben The Great oder Ramy). Der Lion geht bald ab – aber wem geht er künftig wirklich ab?

8. RTL+

Unverkennbarer als mit dem unvermeidlichen Plus hinter der eigenen Brand kann man seine Ideenlosigkeit bei der Benennung seines Streaming-Angebotes ja eigentlich kaum bloßlegen. Es sei denn, man hat das Plus schon vor einigen Jahrzehnten erstmalig hinten an den Markennamen dran gehängt – so wie die Leute bei RTL es einst in der Pionierära des Privatfernsehens Mitte der 80er: Dann geht das +, das sich die Mediengruppe für das eigene entsprechende Portal gegönnt hat, beinahe als augenzwinkerndes Selbstzitat durch. Aber eben nur beinahe, hieß RTL+ davor ja schon RTLnow bzw. TVNOW, was die neuerliche Umbenennung dann doch in die Nähe einer gewissen Trittbrettfahrerei rückt. Ironischerweise scheint der einzige größenrelevante Streaming-Anbieter mit Wurzeln im deutschsprachigen Raum auch inhaltlich irgendwie im Niemandsland zwischen dem Bedienen bewährter Stärken und dem Aufbrechen an neue Ufer festzustecken und dabei nicht so recht von der Stelle zu kommen – was nicht zuletzt der jüngste Schwenk in Richtung Audio-Angebote wie Podcasts nahelegt. Der Videobereich jedenfalls bedient einerseits pflichtschuldigst wie wenig prickelnd Abrufmöglichkeiten für RTL/VOX/etc.-Produktionen von Gute Zeiten, schlechte Zeiten bis Shopping Queen, hält andererseits jedoch auch sinnstiftende Streaming-Originals wie die Bestseller-Bearbeitung Ferdinand von Schirach – Glauben oder die neue, gar nicht so unoriginelle David-Hasselhoff-Nummer Ze Network bereit. Die Trumpfasse, für die man schon ein Probemonat riskieren kann, stammen freilich aus dem Lizenzdeal mit Warner und erlauben Zugriff auf die diversen Originals von HBO Max – vom Humor-Show-Durchstarter des 21er-Jahres Hacks über die Empowerment-via-Erotikheftl-Dramedy Minx bis zum sehr fruchtbaren The Suicide Squad-Serien-Spin-off Peacemaker.

7. MUBI

Hier beginnt’s nun zugegebenermaßen etwas komplizierter zu werden. Denn selbstverständlich kann man MUBI nicht wirklich mit all den anderen Anbietern in dieser Aufstellung vergleichen, wahrscheinlich noch nicht mal ansatzweise. Allerdings kann man auch keine Streamer-Liste machen, die ohne MUBI auskommt. Zu unentbehrlich ist der Service in jener Nische, die das Marketing in Ermanglung von gewinnbringenderen Einfällen Arthouse-Kino nennt – vor allem, weil es den artverwandten Criterion Channel in unseren Breitengraden nicht gibt. Dabei sucht man bei MUBI die branchenüblichen Eigenproduktionen aka Originals erst einmal ebenso vergebens wie die allseits beliebte Serienkost, die Anbietern garantiert, dass gleich mal ganze Staffeln und Nächte vor der Mattscheibe verbracht werden (zu der einen aktuellen, leider nur potentiellen Ausnahme später noch). Was man dafür findet: ein hochwertiges, redaktionell kuratiertes Feinschmeckerangebot aus 1001 Meisterwerken der global gedachten Filmkunst, Leckerbissen des Autorenkinos, verschollenen Low-Budget-Perlen, Kuriositäten aus B-Movie-Beständen und mitunter sogar manch gehobenen Blockbuster of yesteryear. Konkrete Beispiele und Empfehlungen zu nennen, fällt indessen schwer – dadurch, dass das Angebot in diesem digitalen Tempel der Cinephile vergleichsweise rasch umschlägt, sind die Watchlist-Einträge von gestern oft schon die ausgelaufenen Titel von heute. Wer Stöbern und Experimentieren zu den zentralen Variablen des eigenen Schauverhaltens zählt, dürfte hier aber für gewöhnlich immer Ansprechendes finden – zumindest, wenn man hier nicht nach dem angesprochenen Abstecher ins Serienangebot zu suchen beginnt: Exodus, die unverhoffte letzte Staffel von Lars von Triers morbid-bizarr-wunderbarer Krankenhaus-Horror-Farce The Kingdom/Riget wurde (bislang?) offenbar nur für das internationale MUBI-Angebot lizensiert. Es bleibt also: kompliziert.

6. Paramount+

The new kid in streaming town. Weil das Abo-Abruf-Angebot des Paramount-Konzerns – das in den USA früher unter CBS All Access firmierte – erst seit ein paar Wochen online ist, kann dieses Kapitel der Streamer-Jahresbilanz zwangsläufig erst gewisse Ersteindrücke abbilden. Die sind allerdings ziemlich positiv – was beim mit Repertoire von US-TV-Institutionen wie eben CBS, Showtime, MTV und Comedy Central befüllten Katalog aber auch kaum Wunder nimmt. Zu den ersten Trumpfassen im Content-Ärmel zählt neben den Produktionen aus den unendlichen Weiten von Star Trek (z.B. Premiere für den gelungenen aktuellen Ableger Strange New Worlds sowie Neo-Heimat für Discovery) und dem erfolgreichen und rapide expandierenden, gleichwohl nicht unumstrittenen Sheridan-Verse von Creator Taylor Sheridan, dem etwa Yellowstone und seine Prequels, Mayor of Kingstown und das Stallone-Vehikel Tulsa King zuzurechnen sind, sicher die Heimkino-Premiere von Top Gun: Maverick (zwar ein schlimmer Streifen, jedoch auch ein echter Publikumsmagnet). Das Angebot in puncto Showtime-Serien wie Yellowjackets, Your Honor, Billions und American Gigolo sowie Adult-Animation in Form der neuen South Park-Specials und glorreicher frischer Film- und Serien-Abenteuer von Beavis & Butt-Head ist mehr als herzeigbar – was man von eigens für den Streaming-Dienst geschaffenen Originals wie der eher unrunden Game-Adaption Halo oder dem unterkomplexen Pate-Produktionsdrama The Offer noch nicht ohne weiteres behaupten kann. Um es in der bergigen Bildsprache des Logos final auf den Punkt zu bringen: Bis zum Gipfel (der Fernsehwelt) ist es noch ein weiter und breiter Weg, der Abmarsch aus dem Basislager ist aber allemal ohne größere Hoppalas geglückt.

5. Amazon Prime Video + Freevee

Je nachdem, zu welchem Zeitpunkt man sich grad welche Statistik bzw. Studie ansieht, ist Prime Video entweder der Marktführer oder der soeben von Netflix knapp entthronte Marktführer im deutschsprachigen Streaming-Raum. Alles unter diesem Level wäre allerdings auch höchst hinterfragenswert, wenn man bedenkt, dass so ein Prime-Abo ja auch den obligatorischen portofreien Packerlversand inkludiert und Bezos seine Pesos quasi seit Anbeginn des Streaming-Zeitalters in das Video-Angebot pumpt. Und doch verwundert es, wie selten es Prime-Produktionen mittlerweile schaffen, Wellen zu schlagen oder auch nur in der Nische für den einen oder anderen mittelgroßen Hype zu sorgen. Die „klassische“ Amazon-Originals-Ära mit ihren preisgekrönten, prestigeträchtigen Indie-Serien-Lieblingen à la Transparent, Homecoming, dem großen Patriot oder zuletzt noch The Underground Railroad hat offensichtlich endgültig ihr Ablaufdatum erreicht, zu Gunsten einer Nummer-sicher-Programmierung, die in erster Linie darauf abzielt, die krisenresistenten Genres SciFi/Action/Thriller so wertig wie routiniert zu bespielen. Die aktuellen Ergebnisse wie etwa die William-Gibson-Adaption The Peripheral oder das Testosteron-TV von Jack Ryan über The Terminal List bis Reacher können sich zwar sehen lassen, müssen aber auch nicht notwendigerweise angeschaut werden – was ohne weiteres auch auf den Elephant, sorry, Elrond in the Room zutrifft: das Herr der Ringe-Prequel Die Ringe der Macht, das zwar die teuerste Serie der Fernsehgeschichte sein mag und den kompletten Fokus des Anbieters auf Monate gepachtet hatte, dafür aber – zurecht – wirklich wenig Buzz einfahren konnte. On the upside war heuer die Superhelden-Farce The Boys auch in Season 3 so smart wie herzhaft ungehobelt, entpuppte sich die deutsche Mockumentary Die Discounter als erfrischende Überraschung, ist das Filmangebot ohne Zweifel das zweitbeste in dieser Auflistung – auch wenn die Originals-Schiene dort schon stärker bespielt wurde (die Oscar-Offensive der vergangenen Seasons mit bspw. Sound of Metal blieb 2022 komplett aus). Interessant wird künftig auch zu beobachten sein, wohin sich das ergänzende Gratis-Streaming-Spin-off Freevee entwickeln wird, das gegenwärtig ja noch nicht mehr als ein kaum wahrgenommenes Stiefkind ist. Werden hier künftig bloß Inhalte zwischen abo- und werbefinanzierten Angeboten hin- und hergeschoben oder entsteht etwas mit Mehrwert, das einen womöglich gar vor die Frage stellen könnte, wie nötig man den bezahlten Prime-Teil abseits des Packerlversands überhaupt hat? Ja, genau …

4. Netflix

Und schon wieder wird’s kompliziert. Gemischte Gefühle vor flimmernden Fernsehern, nächste Runde. Aber wie könnte es auch anders sein, wenn jener Anbieter an der Reihe ist, dessen Name mitunter schon synonym für Streaming-TV verwendet wird? Jener Platzhirsch, der Jahr für Jahr mit großem Abstand den meisten Schotter in die Content-Maschine pumpt, in der Hoffnung, dass sich damit schon regelmäßig die ein, zwei Hitformate (Applaus für die die, hmm, Musterschüler aus 2022, Dahmer und Wednesday) ausgehen, die die Kundschaft einen weiteren Monat nicht kündigen lassen? Logo, das wollen alle Anbieter. Bloß scheint es wirklich nirgendwo so random zu sein, was einem nun prominent in den von einem überschätzten Algorithmus befeuerten Cover Flow gespült wird wie bei Netflix. Ja, das Prinzip des Würfelns scheint überhaupt schon bei der Auftragsvergabe zu regieren. Was soll’s denn als nächstes sein? Der neue Original-Film aus Meisterregisseurs-Hand oder eine weitere scripted Reality-Show? Die gewagte, nischige Genre-Serie oder doch abermals ein Schema-F-Ausflug in die wirklich voll arge Welt des True-Crime-Dokutainments? Oder eh alles davon und das auch noch zur gleichen Zeit? Glücklich, wer in diesem All-inclusive-Buffet des Abruf-Fernsehens, das wenig mehr will als angeworfen und weggeglotzt werden, erfüllende Momente in einem Ausmaß bekommt, das über die Zufallsquote hinausgeht. Call it Kabelfernsehberieselung 2.0. Wenn das alles nun schlimmer klingt als es der Ranking-Platz suggerieren würde, dann ist das wohl auch der frustrierende Punkt. Denn selbstredend stößt man mit entsprechendem Entgegenkommen auf aktuelle Herrlichkeiten: Die Schlussrunde von Better Call Saul (keine Eigenentwicklung) war die Serienstaffel des Jahres, Sandman lieferte faszinierende Fantasy-Stunden, Glass Onion zuletzt ein echtes Crime-Comedy-Leckerli. Beendet wurde die Saison schließlich standesgemäß traditionell mit einem Awards-Aufgebot der großen Regienamen: Del Toros Pinocchio, Iñárritus Bardo, Baumbachs White Noise. Die Zeit wird indes zeigen, ob sich der Fakt, dass sich den tatsächlichen Oscar für den Besten Film zuletzt aber das fokussierter vorgehende Apple TV (mit CODA) abholen konnte, in den Strategiestellen von Netflix, diesem PSG des Streaming, das mit sehr viel Geld frustrierend wenig anstellt, zu einem Nach- und Umdenken geführt hat. Zweifel bleiben bis auf weiteres bestehen.

3. Apple TV+

Selbst wenn man es in den Spielzeiten davor irgendwie geschafft hat, um den weltweiten Konsens-Hit im Abo-Streaming-Angebot des Elektronikgiganten – genau: Ted Lasso, diesen unvermuteten Lockdown-Laune-Booster in Serienform – einen Bogen zu machen: Spätestens in diesem Frühjahr konnte man gar nicht mehr anders, als Apple TV+ auf dem Schirm zu haben. Das lag zuvorderst zweifellos am beispiellosen Erfolgslauf des einnehmenden, wenngleich auch etwas formelhaften Feelgood-Gehörlosendramas CODA, das bei den diesjährigen Oscars als erste Produktion eines Streaming-Anbieters in der Kategorie Bester Film reüssieren konnte. Es lag zu einem großen Teil aber auch an der imposanten Programmoffensive in der ersten Jahreshälfte, die mit dem Schmunzeln und Schaudern zugleich triggernden Workplace-Mindfuck Severance , dem intimen wie mächtigen Migrations-Epos Pachinko sowie dem abgründigen True-Crime-Meilenstein Black Bird gleich drei der besten Serien des Jahres bereithielt. Hier konnte man die Programmpolitik von Apple TV+ gleichsam in a nutshell erleben: Mehr HBO denn Netflix, mehr kompetent kuratierte, natürlich auch entsprechend großzügig budgetierte Qualitätsformate statt massenhaft nach Motto „irgendwem wird’s schon taugen“ rausgeschossene Meterware. Wiewohl diese Taktik freilich auch zur Folge hat, dass das samt und sonders aus Originals bestehende Angebot noch überschaubarer ist als jenes der Konkurrenz und es auch wie zuletzt mal ein paar weniger ergiebige Monate gibt (obschon auf Neo-Dauerbrenner wie Mythic Quest oder For All Mankind Verlass war und sich Bad Sisters und Slow Horses dessen ungeachtet als erstrangige Neuzugänge entpuppten). Sonst wäre hier sogar mehr als die Bronzemedaille drinnen gewesen.

2. Sky X/WOW/Sky Show

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass gerade im Moment der Niederschrift dieser wohlmeinenden Einordnung plötzlich sehr in den Sternen steht, wie es mit dem Angebot von Sky in der DACH-Region weitergehen wird. Denn unabhängig davon, was an den schwelenden Verkaufsgerüchten dran ist, darf und soll allen allfälligen Unkenrufen zum Trotz festgehalten sein, dass das in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterschiedlich benamste Sky-Streaming-Angebot im Film/Serien-Bereich (also auch ohne die mächtigen Sport-Angebote) dem Vergleich mit jedweder Konkurrenz äußerst souverän standhält. Das über viele Jahre kontinuierlich erarbeitete und aufgebaute Qualitäts-Pfund, mit dem da von Unterföhring aus gewuchert werden kann, macht sich im Zeitalter der großen Content-Inflation nun mehrfach bezahlt: Abo-TV-Premiumzugriff auf die Filmpakete so gut wie aller relevanter Major-Studios (was im Schnitt eben stabilere Resultate liefert als das gemeine Netflix-Movie-Original; im Peak sogar echte Blockbuster), ein Ticket für die Champions League des Serienschaffens von HBO (was sich auch heuer u.a. mit House of the Dragon, Euphoria und The White Lotus erneut stark bezahlt gemacht hat), neuerdings noch die Integration des (Noch-)Partner-Streaming-Angebots Peacock (was neben der Anbindung des Crowdpleasers The Office manch schöne Spinnerei wie The Resort sicherstellte). Die paneuropäisch aufgestellte Sky-Originals-Schiene hat in den letzten zwölf Monaten zwar keinen echten neuen Heuler mehr abwerfen können – solange der Nachschub mit frischem Material von Hit-Shows wie Babylon Berlin, Der Pass oder Gangs of London allerdings weiterhin gewährleistet werden kann, ist man jedoch auch hier bis auf weiteres noch eher auf der sicheren Seite. Mit der Betonung auf „noch“ – denn was die kommenden Monate bringen, das kann im Moment von außen noch kaum jemand abschätzen. Davon einmal abgesehen wäre der aktuelle Programmkurs aber grundsätzlich kein verkehrter.

1. Disney+

Dass der Klassenbeste der Streaming School of 2022 tatsächlich aus dem Maushaus, dem man von der Markt-Monopolisierungsanmutung bis zur erbarmungslosen Kommerzialisierung und Kooptierung progressiver Positionen mit gutem Recht viel vorwerfen kann, kommt, ist beim Verfasser dieser Zeilen durchaus mit Gewissensbissen verbunden. Und dennoch führt bei Lichte betrachtet kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass Disney+ heuer das überzeugendste Angebot auf die Beine gestellt hat – notabene mit einem Materialeinsatz, der jenseits von jenem von Netflix, seinesgleichen sucht. Marvel, Star Wars, Pixar: Was wurden nicht schon für mächtige Marken um Milliardenbeträge akquiriert, um hernach generalstabsmäßig und ad infinitum neuen Content aus ihnen rauspressen zu können … Als entscheidender IP-Jackpot entpuppte sich freilich die Übernahme des Fox-Imperiums (Simpsons! X-Men! Terminator! Alien! Avatar!), deren ungeheure Wirkmächtigkeit sich – nach dem allfälligen Fusions-Abwicklungs- sowie dem zusätzlichen Corona-Delay – heuer erstmalig in full effect beobachten ließ. Und das gar noch nicht mal nur wegen der erwähnten großen Namen (die da und dort noch ihrer Neuausrichtung harren), sondern wegen eines gern übersehenen, aber erheblichen Nebeneffekts: Durch die Eingemeindung des Oeuvres von FX, eines des innovativsten US-Kabel-Senders, sowie jenem des US-Co-Streamers Hulu stehen nunmehr – zusätzlich! – auch ganze Schatztruhen mit First-Class-Serienware zur Verfügung. Und so gesellten sich 2022 zu den schon beeindruckenden Beständen noch alte wie neue Perlen wie Atlanta, Reservation Dogs, The Bear, Only Murders in the Building, The Old Man oder Under the Banner of Heaven zu den traditionellen Massenmagneten wie Doctor Strange in the Multiverse of Madness, Lightyear und Andor. Tatsächlich zweitrangig also, ob man das nun gut findet oder nicht, Fakt bleibt: So beharrlich im tiefgrünen Bereich wie bei Disney+ hatte es sich Qualitäts-Zeiger in diesem Jahr tatsächlich nirgendwo sonst häuslich eingerichtet.

[Credits Aufmacher-Bild: Bastian Riccardi/Unsplash]