Die Empfehlung des Hauses: Eine an Überraschungen satte Superreichensatire, garniert mit einer gschmackigen Abrechnung mit der Seelenlosigkeit der Haute-Cuisine-Maschine – kredenzt von Anya Taylor-Joy und Ralph Fiennes.

Darum geht’s: Es braucht zugegebenermaßen nicht extraviel Vorstellungskraft, um sich die ungebrochene mediale wie gesellschaftliche Obsession mit hochdekorierten Chefs de Cuisine und ihren opulenten, elaborierten, selbstredend hochpreisigen Gerichten als überaus lohnendes Satire-Ziel auszumalen. Dafür reicht schon ein kurzer Blick in eine beliebige Episode der Netflix-Food-Porn-Reihe Chef’s Table, in der in nichtssagend hochglanzpolierter Ästhetik Gerichten mit einer derartigen Bewegtheit Kunstwerkcharakter zugesprochen wird, dass man sich sogar als eher wohlwollender Haute-Cuisine-Beobachter das Schmunzeln bisweilen kaum verkneifen kann. In humoristischer Hinsicht also quasi: ein gefundenes Fressen. Ebenso nicht viel Vorstellungskraft braucht man, um sich vor Augen zu führen, wie in this day and age eine humoristisch zugespitzte filmische Abrechnung mit den Auswüchsen und Abgründen des Gebarens des oberen einen Prozents aussehen könnte. Dafür reicht ein Blick auf das Angebot von Film und Fernsehen, wo das Thema zuletzt gehäuft verhandelt wurde – mal gelungen, mal missraten. Kurzum: Wenn der Pitch nach dem Muster „Eat (with) the Rich“ schon so offenkundig in der Luft liegt, braucht es schon etwas mehr als bloß die übliche Vorstellungskraft und im besten Fall eine weiterführende Vision, um daraus noch etwas mit Nachhall zu schöpfen. Zum Glück haben die gestalterischen Geister hinter The Menu beides in ausreichender Menge auf ihrer Zutatenliste notiert.

Der Gourmettempel, in den uns ebenjene gestalterischen Geister – unter ihnen der durch seine Arbeit an Succession in rasiermesserscharfen Reichenabrechnungen einschlägig eingeübte Regisseur Mark Mylod – entführen, er ist freilich selbst in globalen Gourmettempel-Maßstäben in einer eigenen Exklusivitäts-Etage daheim. Das schlägt sich notabene im Obolus nieder: 1250 Dollar legen die Wohlbetuchtesten pro Abend und Nase im „Hawthorne“ ab, dafür gibt’s ein unikales, unvergessliches Esserlebnis, Yachtüberfahrt auf die abgelegene Privatinsel, auf der außer jenem Restaurant und seinen Nebengebäuden nix steht, inklusive. Zumindest, wenn man neben dem monetären zuvor auch das zusätzliche Glück hatte, überhaupt eingeladen worden zu sein – so wie die Feinschmeckergesellschaft dieses Films. Zu dieser gehört unter anderem Tyler (Nicholas Hoult): ein Starkoch-Ultrafan, wie er in keinem Kochbuche steht – wozu auch, man findet ihn ja auf Insta. Was erklärt, warum der entitled Dude die kredenzten Kreationen zuallererst mal ablichten und ungefragt über Zubereitungsmethoden und Esserfahrungen („dieses Mundgefühl!“) referieren muss statt sich auf Augenhöhe mit seinem Date, der spontan eingesprungenen Margot (Anya Taylor-Joy), zu unterhalten. Auf Augenhöhe, zumindest, was den Arschgeigen-Faktor anbelangt, kann der Streber-Foodie gleichwohl anderen Gästen wie der Gastrokritikerin (Janet McTeer), dem Filmstar (John Leguizamo) oder den Finance-Bros (u.a. Arturo Castro) begegnen. Nicht, dass einen das Drehbuch im Gegenzug zunächst motivieren würde, der „anderen Seite“ mehr Wohlwollen entgegenzubringen: Jenes verliert man verlässlich bei den prätentiösen Predigten, die Küchenguru Julian Slowik (Ralph Fiennes) vor jedem Gang abfeuert. In jenen Ansprachen erfährt man etwa, dass man in diese heilige Stätte der Haute Cuisine nicht aufgenommen wurde, um bloß profan zu „essen“, vielmehr ist man angehalten, sich die mit allen Mitteln der Vorführkunst zelebrierten High-Concept-Gerichte regelrecht auf der Zunge zergehen zu lassen. Ein Kommando-Klatschen noch und dann gilt: genießen!

Nun sind Satiren, schon gar nicht solche, die Ultraprivilegierte ins Visier genommen haben, allerdings auch gar nicht dafür gemacht, um am Ende allfällige Sympathierankings zu erstellen. Die Reise zu jenem Ende ist es vielmehr, worauf es ankommt, genauer gesagt die Raffinesse, mit der mit jedem weiteren Gang in einen höheren Gang geschalten wird – hinsichtlich der Boshaftigkeit im Aufblattln der Lügen und Sezieren der Geheimnisse der selected few. Zum einen zumindest. Zum anderen zahlt im Zuge all dessen selbstredend auch eine möglichst große Unberechenbarkeit stark auf das Schauvergnügen ein. Im Gegensatz zum aktuell artverwandten Triangle of Sadness etwa, bei dem man zwar auch nie wusste, wohin es als nächstes geht, wo dies wegen der Plattheit der Präsentation jedoch auch nie über die Maßen interessant wurde, hält The Menu nicht nur konsequent verdammt unerwartete (Speise-?)Karten in der Hand, es versteht sie auch so überlegt und überzeugend auszuspielen, dass man sich in keiner Minute für blöd verkauft vorkommt. Durch die Augen von Taylor-Joys Margot, die als einzige im minimalistisch protzigen Designertraumraum wirklich zu cool für das ganze Theater ist, nehmen wir diese von rigider Klassenordnung geformte Welt wahr – und damit freilich auch die sich Teller für gereichten Teller zunächst diffus, dann ganz konkret aufladende Atmosphäre. Doch wohin sich dieses Speisekammerspiel nun entwickeln wird, ob die Upperclass-Lifestyle-Satire jede Minute in Richtung Thriller oder überhaupt gleich Horror kippen oder eher doch gleich der Mr. Creosote-Gag von Monty Python um die Anrichte lugen wird, das bleibt tatsächlich bis knapp vor Ende herrlich unvorhersehbar. Einem mit allen Wassern gewaschenen Drehbuch und einer abgebrühten Inszenierung sei Dank, die die immanente Leere dieser Küchen-Performance und ihres aufgeblasenen Publikums zur Kenntlichkeit zu entstellen verstehen und Spott und Spannung dabei ganz wunderbar austarieren. Yes, Chef!

Besondere Beachtung: Anya rockt, was kaum überraschend für irgendjemanden kommt, der eine der talentiertesten Schauspielerinnen ihrer Generation zuletzt zwischen The Queen’s Gambit, Last Night in Soho und The Northman mal bewundern durfte. Sie hat neben dem verlässlich starken Ralph Fiennes freilich auch eine der eher dankbareren Rollen. Nicht so Nicholas Hoult, der sich erneut eine dieser an sich undankbaren „grundlos eitler Douche“-Rollen (siehe dazu auch sein Kaiser Peter III. in der Hulu-Historienserie The Great) in hinreißend unerschrockener und urkomischer Manier zu eigen macht.

Koordinaten: Pig; The Bear; Triangle of Sadness; Succession, Chef’s Table

Anschauen oder auslassen? Anschauen. Respektive degustieren. Am besten im Rahmen eines dreigängigen Menüs mit der letztjährigen Nicolas-Cage-Gourmetabrechnungs-Großtat Pig als erstem und der famosen, frischen Serien-Küchenschlacht The Bear als abschließendem Gang.

[Geschaut: Im Rahmen der Viennale 2022]