Die Podcast-Kolumne für The Gap lässt diesmal gemischten Gefühlen freien Lauf – auch anlässlich eines aktuellen Beispiels: Wenn gute Menschen gute Absichten haben, wird nicht zwangsläufig ein guter Film draus.

Es ist unendlich anstrengend und herausfordernd. Und doch absolut unerlässlich. Die Rede ist vom Aushalten und Aufdröseln der zahlreichen Uneindeutigkeiten, die uns das moderne Leben tagtäglich aufs Neue auftischt. Im privaten Kontext, im gesellschaftlichen ohnehin. Und weil der alte Affe Ambiguität echt keinen Tanz auslässt, hat man natürlich auch in der Kunst allzeit mit unangenehmen Brüchen und Widersprüchen zu rechnen. Etwa, wenn auf Lieblingswerken aus offenbar heiterem Himmel von den Kunstschaffenden selbst verursachte, hässliche Flecken auftauchen, die den Blick auf das bisher so Bewunderte irreversibel verändern. Glücklich, freilich auch ein wenig nach- bis fahrlässig in der Betrachtung, wer da a) ungerührt einfach wieder zur Tagesordnung übergehen kann oder b) sofort und schonungslos sämtliche Brücken abfackelt – nicht nur jene zu den Fleck-Verantwortlichen, sondern gleich jene zu deren gesamtem Schaffen. Zumeist bleiben die Gefühle gleichwohl: gemischt. Und stetes Ringen und Hadern mit den mit ihr fortan verknüpften Ambivalenzen ist letztlich das, was von der einstmals ungebrochen geschätzten Kunst bleibt.

Doch auch dort, wo die Ausmaße der Ereignisse nicht die größte Folgenschwere aufweisen, auf den Nebenschauplätzen, wo das vergleichsweise Unbedeutende bis Harmlose zur Aufführung gelangt, vermag sich bisweilen ein zumindest ärgerlicher Schleier über Dinge zu legen, die in ihrer Essenz doch eigentlich nur wundertoll sein sollten. Was war es im ersten Corona-Spätsommer beispielsweise für eine bemerkenswerte Freude, endlich wieder mit anderen Menschen in Kinosälen sitzen, kollektiv Feste der Leinwandkunst feiern zu dürfen. Mit all den Gefühlen der filmverursachten Euphorie, die eben dann am üppigsten sprießen, wenn die Dynamik des Zwischenmenschlichen das Gesehene auf eine Erlebnisstufe heben darf, die dem monatelangen, solitären Starren auf den Schirm fremd war, fremd sein musste. Ewig unvergessen diesbezüglich die zu jener Zeit ausgerichtete Edition der Filmfestspiele von Venedig, während derer große Erleichterung für alle bemerkbar in der Luft hing. Ausgelassener, ausufernder als früher fielen dort und dann die Ovationen aus, unverkennbar: Versicherungen der Wichtigkeit der Situation und ihrer Wirkmacht.

Ovationen ohne Ende

Fast forward zur aktuellen Spielzeit am Lido. Wiewohl dort erneut fleißig und freudig geklatscht wurde nach und auch schon mitten in den Abspännen, schien diese Geste in ihrer Wahrnehmung und Deutung in der Zwischenzeit augen- und ohrenscheinlich einem kühl kalkulierten Reframing zum Opfer gefallen zu sein. So durfte nunmehr keine Premiere mehr zu Ende gehen, ohne dass man nicht gleich direkt im Anschluss in sämtlichen Branchenmedien auf die Sekunde genau über die Dauer der Beifallsstürme informiert wurde – ganz so, als ob sich Gedeih oder Verderb eines Filmes am Ausschlag des Applausometers bemessen ließe: Brendan Frasers Comeback-Tour-de-Force The Whale: Wow, ganze sechs Minuten Ovationen! Timothée Chalamets Kannibalismusromanze Bones and All: gleich zehn! Reichte indes auch nicht für den Sieg im Trommelfeuer der Pseudoneuigkeiten, denn: The Banshees of Inisherin, die Reunion des Trios Colin Farrell, Brendan Gleeson & Martin McDonagh wurde fast eine Viertelstunde lang beklatscht, hui! Dass es für den Streifen selbst später auch noch für tatsächliche Auszeichnungen reichte, ging beinahe ein wenig unter in dieser krachend lauten Unterwerfung unter die Social-Media-Logik des größten anzustrebenden viralen Moments, unter diese Rotten-Tomatoes-isierung selbst der Kinokunst-Königsklasse in Form eines weiteren geistlosen Zahlenvergleichs fürs PR-Toolset. Ja, auch bei mutmaßlich unschuldigen Angelegenheiten wie Applaus heißt es längst, mit begleitenden Schattenseiten auskommen zu lernen. Schon schade.

Womit wir nun – endlich! – beim aktuellen Anlassfall für diese Kolumne angekommen wären, für den auch noch ein paar Zeilen bleiben sollten. Auch hier hatte es mehrminütige Ovationen bei einem der Prestige-Filmfestivals – Cannes paschte acht Minuten für Triangle of Sadness (Kinostart: 14. Oktober) in die Hände, überreichte überdies später bereitwillig die Goldene Palme. Was für den schwedischen Regisseur Ruben Östlund freilich keine neue Erfahrung war: ihm war diese Ehre bereits fünf Jahre zuvor mit dem Vorgängerfilm The Square zuteilgeworden, nachdem 2014 sein Höhere Gewalt ebenfalls bereits wohlwollend an der Croisette rezipiert worden war. Doch just an dieser Stelle schleicht leider erneut der alte Affe Ambiguität druchs Bild. Waren die beiden letztgenannten Werke noch astreine Satire-Großtaten, die die makellosen Fassaden der Schönen und Superreichen mit raffiniertem, rabenschwarzem Schmäh Schicht für Schicht abzutragen wussten, übermittelt Östlunds jüngste Arbeit, in der einer ultraprivilegierten, in Seenot geratenen Luxuskreuzfahrtgesellschaft die Scheiße bald buchstäblich bis zum Halse steht, Systemkritik nunmehr mit der Subtilität einer straight in die Beletage donnernden Abrissbirne. Und damit ist man leider schon wieder mittendrin im erwähnten Dilemma: Eine an sich sehr erstrebenswerte Sache – hier: eine von einem schlauen Kopf erdachte, saftige Spätkapitalismus-Farce – erweist sich im Realitycheck leider bloß als gebrauchtes Geschenk: als oberflächliches, brachialhumoriges Bruhaha, das mit allem angebrachten Furor eben leider nicht nur die ins Visier genommenen Ziele ins Lächerliche zieht, sondern solcherart auch die beabsichtigte Botschaft ein Stück weit untergräbt. Unterm Strich steht: eine weitere Zwiegespaltenheit, die sich zu den bereits bekannten gesellt und mit der es fürderhin ebenfalls umzugehen heißt. Es ist, es bleibt: anstrengend und herausfordernd. Und doch unerlässlich.