Bill Haders raffinierte rabenschwarze Killer-in-der-Krise-Dramedy schafft das Erstaunliche: einen genuin unvorhersehbaren, dabei ungemein befriedigenden letzten Akt, der sich mit den größten HBO-Hits messen kann.

Darum geht’s: Während man als bekennender Schnappatmer bei HBO-Höchstleistungen immer noch mit den emotionalen Nachbeben dieser heftigen Wendung in der jüngsten Episode von Succession klarzukommen versucht (by the way: Was ist das nur immer mit den Hochzeiten in den Shows des Senders?), sollte man die Tatsache keinesfalls unter den Fernsehtisch fallen lassen, dass dieser Tage auch ein anderer aktueller Serien-Meilenstein des Hauses in seine vierte und zugleich abschließende Runde geht. Nicht, dass man sich freilich um die Sichtbarkeit des gebeutelten Hollywood-Hitman Barry Berkman Sorgen machen müsste – dafür war die rabenschwarze Dramedy, die dessen tollkühnem Traum von der Selbstverwirklichung via Schauspielkarriere nachspürt, seit jeher schlichtweg zu gut bei Kritik und Publikum angeschrieben (sowie natürlich auch in unserem Podcast, wie man hier nachhören kann). Und das mit allem Recht der Serienwelt.

Die Serienschöpfung von Alec Berg und dem bis dahin eher als reiner Schmähbruder gefeierten Bill Hader (Stefon!), bewegte sich quasi von Anfang an in Perfektion im Spannungsfeld zwischen supersmarter Satire auf die Oberflächlichkeit des Showbiz und gnadenloser Auslotung (zwischen-)menschlicher Abgründe, vergaß dabei aber nie darauf, die jeweiligen Genre-Gesetzmäßigkeiten immer wieder unerschrocken zu erweitern und im positiven Sinne zu verkomplizieren. Um schließlich einen Grad an Tiefe und düsterer Perfektion zu erreichen, der gar an die Heydays der ja nicht gänzlich unverwandten Walter-White-Saga erinnern mochte. Die hohen Erwartungen an die Abschlussrunde von Barry, die sich aus jener exzellenten Vorarbeit speisen, werden nun, so viel sei vorweggenommen, mit einem fulminanten Zieleinlauf erfüllt, der nachgerade als maßstabsetzend bezeichnet werden darf: vor erstaunlichen inhaltlichen Risiken nicht zurückschreckend, ohne dabei die Motive der Serie zu verraten.

Doch bevor wir uns mit größtmöglicher Vorsicht auf die letzten Meter dieser gehaltvollen Geschichte begeben, ohne sie allerdings selbst vollständig zu kennen (der Presse wurden vorab 7 von 8 Episoden zur Verfügung gestellt), greifen wir noch einmal kurz den Handlungsfaden auf, mit dem uns das dramatische Staffelfinale des letzten Jahres zurückgelassen hat. Dieses endete bekanntlich mit einem donnernden Cliffhanger, der gut und gerne auch als Serienfinale getaugt hätte, als Barry (Hader himself) entsetzt feststellen musste, dass sein Schauspiellehrer und Vaterersatz Gene Cousineau (Henry Winkler) ihn letztlich für den Mord an dessen Freundin über die Klinge springen ließ. Da wir uns aber nicht in der Welt von Dexter befinden, sondern in einem Universum, in dem Entscheidungen auch für Killer schwerwiegende Konsequenzen haben, die das weitere Leben für immer in andere Bahnen lenken können, liegt Leben von Barry nun ebenso in Scherben wie das all der Menschen, denen er in der Vergangenheit Schaden zugefügt hat. Und so findet er sich zu Beginn der vierten Staffel tatsächlich hinter schwedischen Gardinen wieder – wo ihn zwar alle aus den Nachrichten kennen, einer aber schon länger: Ausgerechnet sein ehemaliger Partner in Crime Fuches (Stephen Root) sitzt in derselben Anstalt. Sind die beiden nun Verbündete oder werden sie sich bei der ersten Gelegenheit gegenseitig verraten, um früher aus dem Knast zu kommen? Es wäre nicht Barry, wenn das Drehbuch diese Unklarheit nicht mit humoristischem Mehrwert ausloten würde.

Aber auch die Figuren außerhalb sind auf Flucht gepolt: Barrys Freundin Sally (Sarah Goldberg) verlässt die Traumfabrik zerknirscht in Richtung Heimatstadt, NoHo Hank (Anthony Carrigan) macht sich, nur scheinbar mit sich im Reinen, mit seinem Lover Cristobal auf in Richtung Süden – wo er allerdings nicht so recht die Füße still halten kann und sich bald wieder in zwielichtige Geschäfte stürzt, dramatische Folgen inklusive. Und Cousineau? Dessen größter Feind bleibt auch nach dem Verrat sein eigener Narzissmus, der ihn immer wieder zum falschen Zeitpunkt nach Aufmerksamkeit schreien lässt. Über das ganze Land verstreut, suchen die Protagonisten nun verzweifelt nach irgendeiner Form der Erlösung – mit erwartbar durchwachsenen Ergebnissen. Du kannst eben nur sehr schwer vor dir selbst und deinen niederen Impulsen weglaufen (was nicht heißt, dass du es nicht immer wieder versuchen willst). Man kann aber auch nicht ewig vor den anderen weglaufen – und so ist es keine große Überraschung, dass sich die Wege der Main Player irgendwann wieder kreuzen müssen. Auf welch verschlungenen, überragend unvorhersehbaren Wegen sie das allerdings tun, will hier nicht verraten werden, das wäre höchst unredlich; da darf und soll sich jeder gerne selbst überraschen lassen.

Der Kurs, den Hader als Autor und Regisseur der gesamten Staffel vor allem ab deren Mitte einschlägt, wird in jedem Fall für Diskussionsstoff sorgen, so ambitioniert wie aufregend, wie er es versteht, eine ausgesprochen wagemutige Wendung zunächst noch vorbildlich mit listigen Täuschungen zu kaschieren, um schließlich all-in zu gehen und damit die Pforten für einen erzählerischen Parforceritt zu öffnen, bei dem nun wirklich nichts mehr antizipierbar scheint. Folglich ist es auch schwer einzuschätzen, wie Barry im Allgemeinen und Barry im Besonderen konkret enden wird. Ja, man ist sich bisweilen nicht einmal mit sich selbst einig, welches Schicksal man den einzelnen Akteuren wünschen soll. Und doch weiß oder ahnt man schon vor den allerletzten Metern, dass man sich die Umsetzung dieser Geschichte in überwältigenderen Farben nicht hätte ausmalen können. Ganz einfach, weil Hader und seine kongenialen Konsorten die an sich abgedroschene Antihelden-Angelegenheit wieder und wieder und bis zum Schluss mit Verve und Geschick auf links zu drehen wussten. Weil sie uns mit knochentrockenem Humor, explosivem Nervenkitzel und schonungsloser Seelenschau auf eine Weise Lachen, Schaudern und Mitfühlen lehrten, die auch unzählige Jahre nach Tony Soprano und Walter White noch einmal richtig frisch und unverbraucht anmutete. Weil sie gezeigt haben, dass es dich keinen Meter weiterbringt, dass du deine versammelten Widersacher in die Knie zu zwingen verstehst (und als Kollateralschaden obendrein deine Mitstreiter), wenn du dabei deine eigenen Dämonen einfach nicht und nicht los wirst.

Besondere Beachtung: So angezeigt die umfassenden Lobeshymnen auf seine Arbeit vor und hinter der Kamera auch sind, so ist Barry doch weit mehr als die große Bill Hader Show. Dafür bürgt allein schon einer der talentiertesten Casts der jüngeren TV-Geschichte. Ausgedehnter Abgangsapplaus also für Anthony Carrigan und seine szenenstehlenden Auftritte als NoHo Hank, Henry Winklers spätes Karrierehighlight als narzisstischer Mr. Cousineau und Sarah Goldberg (Extra-Tipp: ihre neue eigene Serie SisterS) als sowohl von ihrer Liebe zu Barry als auch jener zur Traumfabrik kontinuierlich hart auf die Probe gestellte Sally. P.S.: Über den besonderen Cameo-Auftritt eines gewissen Oscar-Preisträgers (nicht in einer Schauspielkategorie!) gäbe es auch noch ein paar Worte zu verlieren, aber das fällt wohl erneut in die Kategorie Spoiler …

Koordinaten: Mr. Inbetween; Get Shorty; Breaking Bad; Killing Eve; Dexter

Anschauen oder auslassen? Anschauen. Es ist zwar nichts Neues, gehört aber nichtsdestotrotz immer wieder erwähnt: Wo Hader draufsteht, ist einfach immer Tragikomik der höchsten Güteklasse drin. Unabhängig vom (noch unbekannten) Schlussakkord ist der letzte Akt im Kampf um die Seele des nach Selbsterkenntnis und Erlösung suchenden Auftragskillers eine Serienerscheinung, die ihresgleichen sucht: nervenzerreißend spannend wie unerbittlich düster, emotional niederschmetternd wie knochentrocken komisch – und bei alledem formal und inhaltlich so unberechenbar wie nie zuvor. Ein klarer Fall fürs TV-Pantheon.

[Geschaut: 7 von 8 Episoden]