Die Großen 15 der Serien-Saison boten Murder Mysterys in tragisch und komisch, Reisen in die Postapokalypse und die unrühmliche Vergangenheit, ins Paradies und eine von Babypuppen bevölkerte Metropole.

Und so geht ein weiteres Jahr zur Neige, ein weiteres Jahr, in dem wir zwangsläufig viel, zu viel zu Hause sitzen mussten. Und damit auch ein weiteres Jahr, in dem wir mehr Zeit vor diversen Schirmen und Abspielgeräten verbrachten als es wahrscheinlich sonst der Fall gewesen wäre. Ein weiteres Jahr aber auch, in dem man trotzdem nie so recht nachzukommen schien beim Serienschauen: Das Angebot an verheißungsvollen neuen und ersehnten wiederkehrenden Produktionen war selbst bei großer Schaumotivation spätestens heuer schlichtweg zu überwältigend geworden – und das obwohl pandemiebedingt auch heuer wieder einige Serien-Schatzis und Fixsterne Zwangspause hatten (hallo Atlanta, hallo Killing Eve, hallo Barry, bitte dann einfach 2022 weitermachen, okay?).

Wundern musste einen das indes nicht: Liefen die Kameras doch nicht mehr allein für die eh bereits tätigen Sender und Streamer auf Hochtouren, sondern auch für ambitionierte Newcomer wie HBO Max, Paramount+ oder Peacock, die den eh schon sehr gesättigten Markt noch mehr fluteten. Beschweren wollen wir uns an dieser Stelle aber auch nicht – ganz im Gegenteil: Mit erheblich mehr Quantität ging glücklicherweise auch erheblich mehr Qualität einher – die Bestenliste 2021 hätte gut und gern auch 50 Titel umfassen können. Die folgenden Großen 15 sind also quasi als Best of des Best of zu verstehen, als Crème de la Crème, wenn man so will.

P.S.: In Frage kamen für diese Liste im Übrigen nur Serien, deren Staffeln man zur Gänze in 2021 geschaut haben konnte – was einige erst Ende des Jahres gestartete, aussichtsreiche Shows wie Yellowjackets und Station Eleven aus dem Rennen nahm. Aber 2022 ist ja auch noch ein Jahr (in dem wir wohl auch wieder viel zu Hause sitzen werden).

15. The Outlaws (S01)

Während sein Ex-Partner Ricky Gervais – gemeinsam hat man u.a. The Office entwickelt – in kreativer Hinsicht kaum noch die Füße auf den Boden kriegt (siehe sein zwischen Sarkasmus und Seifenoper gestrandetes After Life), fand Stephen Merchant mit seinem Serien-Comeback heuer zu alter Relevanz zurück. Bloß auf andere Weise als gedacht. Denn auch wenn die Story einer Truppe zu gemeinnütziger Arbeit verdonnerter Kleinkrimineller (die grundverschieden genug für die obligaten Culture Clashes sind) zunächst so tut, als sei sie bloß Anzünder für Pointen-Feuerwerke, war es eigentlich exakt das Gegenteil der Fall. Merchant zielte nämlich nur vordergründig auf unsere Zwerchfelle ab, hatte eigentlich aber unsere Herzen im Visier. Als sich diese wenig glorreichen Sieben aus Solidarität bald im Sumpf des echten Verbrechens wiederfanden, dann sollte man nicht nur mit ihnen mitfiebern, sondern auch mitfühlen – was dank 1A-Cast und Top-Script denn auch ein Leichtes war. Dass bis hier noch unerwähnt bleiben konnte, dass Christopher Walken ein Teil der Gang war, spricht für nichts anderes als für die enormen weiteren Qualitäten dieses Sechsteilers.

[Zu sehen via Amazon Prime, wenn auch vorerst mal nur als Leihe/Kauf]

14. Ultra City Smiths (S01)

Man traute jüngst seinen Ohren nicht: Ausgerechnet er soll demnächst ein Game of Thrones-Prequel schreiben? Er, Steve Conrad, verantwortlich für einige der exzellentesten, aber auch exzentrischsten Serien-Kreationen der letzten Jahre? Für Shows wie Patriot und Perpetual Grace, LTD, die die Genres Spionagethriller und Neo-Western in einem hochgradig distinktiven Sound zwischen Lakonie und Schrulligkeit noch mal ganz neu erzählten? Bis Conrad bald frischen Wind durch Westeros wehen lassen wird, durfte er heuer aber noch mal seine Trademark-Quirks auf die Spitze treiben: In Form einer (natürlich) idiosynkratrischen Neudeutung des Genres (sleazy) Großstadt-Noir – mit, genau, animierten Stop-Motion-Babydolls in allen Rollen. So spinnert, wie man sie sie sich vorstellt, war diese (freilich nur selten im Mittelpunkt stehende) Mörderjagd auch, aber nicht unerwartet ebenso brillant und kurzweilig. An jeder ranzigen Straßenecke erwarteten uns absurde Figuren und Situationen, irrwitzige Wortwechsel und Wendungen, es gab Musical-Einlagen, Running Gags über Limettensucht (it’s a thing!) und selbstverständlich ein bissi Blutvergießen. In allen Belangen begnadeter Wahnsinn, der einen bereits jetzt vorfreudig auf die kommenden Entwicklungen im Über-Serien-Franchise GoT blicken lässt.

13. We Are Lady Parts (S01)

Falls sich jemand die Frage stellt, wie Punk 2021 aussehen muss, um noch relevant zu sein: genauso wie Lady Parts, die im Mittelpunkt dieser sechsteiligen britischen Coming-of-Age-Comedy stehende Band, die sich samt und sonders aus jungen Muslimas zusammen- und musikalisch auf rohe Gitarrenmusik mit rotzigen Lyrics und fabelhafte Hooks setzt. Nicht nur nicht satthören (wer von „Basheer With The Good Beard“ keinen Ohrwurm bekam, dem war nicht zu helfen), sondern auch nicht sattsehen konnte man sich daran, wie bei Showschöpferin Nida Manzoor neben Slogans und Songs auch Emotionen und Einsichten saßen. So clever, mitreißend und entwaffnend lustig geriet ihr und ihren Protagonistinnen der Parforceritt durch das weite und ständig neu auszuverhandelnde Feld zwischen Tradition und Selbstbestimmung, Pflichtbewusstsein gegenüber Familie und Freundeskreis und Leidenschaft für das Leben und die Kunst, dass selbst das etwas zu einfache Feel-Good-Finale für keine Verstimmung sorgte. Denn alle großen Hadern brauchen neben Street Credibility ja immer auch ein wenig Schmalz.

12. Sweet Tooth (S01)

Putziger war hier war die Postapokalypse selten. Und das war in diesem gemeinhin mit viel doom und gloom verknüpften Story-Setting nicht nur eine wohltuende Abwechslung. Sondern wahrscheinlich auch ausschlaggebend dafür, dass diese Comedy-Adaption, in der eine Pandemie eine entscheidende Rolle spielt, im vergangenen Frühsommer, in dem eine Pandemie ganz real eine entscheidende Rolle spielte, solch wohlwollende Wellen schlagen konnte. Es hatte gewiss einiges mit dem ungewöhnlichen Blickwinkel der Erzählung zu tun, dass Netflix hier ein echtes Gegengift zur Tristesse der Gegenwart im Streaming-Schrank stehen hatte: Die Endzeitwelt von Sweet Tooth wird durch die aufgeweckten Augen eines Zehnjährigen erkundet, eines speziellen Zehnjährigen natürlich. Gus ist nämlich nicht nur eine der Schokolade zugeneigte Naschkatze (daher sein Spitz- und der Serienname), sondern tatsächlich ein halber Hirsch, ein Mensch-Tier-Hybridwesen. So wie alle anderen Kinder auch. Da die neue Spezies jedoch mit dem alles auslös(ch)enden Virus verknüpft wird, ist sie gleichsam Freiwild für allerlei finstere Gesellen. Nachdem Gus in einem vierschrötigen Ex-Hybridjäger einen Gefährten für die Suche nach seiner Mutter gefunden hat, beginnt ein in zauberhaften Tableaus und mit entwaffnendem Tonfall eingefangener Roadtrip durch die Ruinen der Zivilisation, an dessen Ende man in der Tat hoffnungsfroher als zuvor vorm TV-Gerät sitzt. Keine kleine Leistung im Hier und Jetzt.

[Zu sehen via Netflix]

11. The Great (S02)

Erneut das größte Geschenk für alle, die Formate wie The Crown nur aushalten, wenn sie in Succession-Soße getunkt wurden. Wenn sich zu hochwertigen Set-Designs, Kostümen und Performances zwischenmenschliche Abgründe gesellen, wenn sich Banalität und Brutalität im Machtrausch die blutige Pranke reichen, wenn Intrigen und Beleidigungen in einer Frequenz durch die hehren Hallen fegen, dass man mit dem Zungeschnalzen nimmer nachkommt. In ihrer zweiten Spielzeit hob Tony McNamara (The Favourite) seine royale Räudigkeitsstudie rund um Katharina der Große und Peter den Garnicht-Großen gleich noch mal auf ein neues Niveau der Niedertracht. Die Neo-Regentin sah sich nunmehr mit den Mühen der Ebene, mit Ränkespielen, die jedes Fortschrittsstreben zur Tour de Force machen, konfrontiert – zugleich aber weiterhin auch mit dem unbeirrten Liebeswerben ihres an sich ins Ausgedinge geschickten Göttergatten. Den unüberbrückbaren Graben zwischen dem eigenen Glück und jenem des Landes loteten die Show und das kongeniale Duo Elle Fanning und Nicholas Hoult mit wenig Rücksicht auf faktische Akkuratesse, dafür mit solch unübertrefflichem komödiantischem Mehrwert aus, dass man sich fragen musste, ob sich unter der Oberfläche des Historiendramas nicht einfach die ganze Zeit die trefflichste, da verkorksteste RomCom unserer Zeit versteckt hatte. Huzzah!

[Zu sehen via Starzplay]

10. The North Water (S01)

Walverwandschaften des Wahnsinns. Wenn eine Miniserie mit dem Schopenhauer-Zitat „Die Welt ist eben die Hölle, und die Menschen sind einerseits die gequälten Seelen und andererseits die Teufel darin“ beginnt, dann ahnt man eigentlich schon, was es gleich schlagen wird. Und tatsächlich knüpfte die Verfilmung von Ian McGuires Roman Nordwasser nahtlos dort an, wo die geil intensive, höchst herausfordernde erste Season von The Terror aufgehört hatte. Auch hier machte sich ein Walfänger voll mit verlorenen Seelen auf eine verhängnisvolle Mission Richtung Polarkreis auf. Auch hier kamen die grimmigen Gesellen mit den frostzerfressenen Bärten mit jedem weiteren zurückgelegten Meter ihrem Untergang ein Stück näher – bloß, dass das Grauen hier weniger übernatürlicher denn rein menschlicher Natur war. Auftritt Colin Farrell, der als barbarischer Harpunier eine derart eindringliche schauspielerische Tour de Force ins ewige Eis donnerte, dass ihn Werner Herzog fix schon auf Kurzwahl hat. Allzu verständlich wäre aber auch, dass er wie alle anderen Beteiligten hier am liebsten noch mal mit Regisseur Andrew Haigh zusammenarbeiten will  – in der nicht unberechtigten Hoffnung auf einen weiteren ästhetisch wie emotional so wuchtigen, singulär visionären Höllenritt ins Herz der Finsternis.

[Zu sehen via MagentaTV, zumindest in Deutschland]

9. Maid (S01)

Wurden hier Zeichen der Zeit erkannt? Wenn ja: aus Kalkül oder echter Anteilnahme? Oder war das alles doch wieder mal nur Zufall? Wir werden im Nachhinein schlauer sein, fürs erste ist mal Fakt: Serien über Menschen, die von der Hand in den Mund leben, jeden Cent öfter umdrehen müssen und in ihrer pekuniären Not jede Erniedrigung über sich ergehen lassen müssen, hatten heuer auf Netflix Hochsaison. Eine davon – ja, die mit bis zum Exzess exorzierten koreanischen Kinderspielen – wurde gar der größte Serien-Hit des Streamus-Primus. Auf berührendere und beklemmendere Weise wurde die Problematik in dieser auf einem Tatsachenroman basierenden Miniserie umgesetzt. Maid fing das durch die Flucht vor ihrem Arschloch-Partner endgültig aus der Bahn geratene Leben und verzweifelte Struggeln einer Jungmutter (überragend: Margaret Qualley) mit einer derart nervenaufreibenden, nie nachlassenden Intensität ein, dass man fast übersah, wie raffiniert und ohne falsche Melodramatik diese Abrechnung mit den Auswüchsen des Kapitalismus und den Absurditäten des US-Sozialsystems gearbeitet war. Aber eh nur fast.

[Zu sehen via Netflix]

8. Mare of Easttown (S01)

Die Checklist führt erst mal Bekanntes und Bewährtes zusammen: Eine mausgraue Kleinstadt mit mehr Vergangenheit als Zukunft, eine ermordete junge Frau, dazu verschwundene Mädchen, eine Polizistin mit tiefsitzendem Trauma, eine Community mit dunklen Geheimnissen. Ja, die eine oder andere Serie mit diesen oder ähnlichen Grundpfeilern wird man in den letzten Jahren schon mal gesehen haben. Mare of Easttown spielte heuer ohne Zweifel und Abstriche in der Liga der allerbesten aus dem Fach. Nicht zuletzt, weil es sich so wie Broadchurch, Happy Valley und Top of the Lake auf eine Sonderklasse-Schauspielerin, hier gar eine der größten ihrer Generation, in der Hauptrolle verlassen konnte. In ihrer zweiten Hauptrolle in einer HBO-Miniserie (nach Mildred Pierce 2011) verschmolz Kate Winslet nahezu mit ihrer vom Leben reichlich geprüften Ermittlerin. Bis hin zum Einfangen des speziellen Akzents aus Joe Bidens Heimatgegend gelang ihr eine derart nuancierte, komplexe Charakterzeichnung, dass es dann auch keine große Überraschung war, dass sie sich vor einigen Monaten auch noch einen zweiten Emmy zu ihrem Oscar ins Trophäenregal stellen durfte. Das meisterlich gesponnene, inhaltlich reichhaltige Mystery-Drama heimste übrigens noch drei weitere Emmys ein – obwohl oder weil es komplett anders angelegt war als die Prestige-Krimis, die HBO sonst verlässlich rund um Nicole Kidman herumstrickt: Tiefgang stach hier allzu starke Twist-Abhängigkeit, und Authentizität Hochglanz.

[Zu sehen via Sky]

7. Hacks (S01)

Räumte zwar verdientermaßen bei den Emmys 2021 ab, ist aber aus unbegreiflichen Gründen bei uns noch immer nicht legal zu sehen, die zweite heurige Meisterklasse-Performance der lebenden Legende Jean Smart. Anders als in Mare of Easttown, wo ihre schnippischen Sager eher der Auflockerung einer grimmigen Geschichte dienten, durfte Smart in dieser Comedy über das Comedy-Biz in Las Vegas „all in“ gehen. Und lieferte als schillernde Stand-up-Institution, die es sich etwas zu bequem in der Routine eingerichtet hat, im kongenialen Zusammenspiel mit der jungen Hannah Einbinder, deren Millennial-Autorin den Oldschool-Act der Ikone aufpolieren soll, unverfälschtes komödiantisches Gold ab. Zwischen den Eckpfeilern Clash der Generationen und Humorzugänge, pointiertem Aufblattln des altersunabhängigen Sexismus in der Showbiz-Welt und Studie einer unerwarteten Frauenkameradschaft gelang dem von Teilen des Broad City-Teams geschaffenen Format ein wahrlich herausfordernder Spagat mit nicht wenig Bravour. Und natürlich einigen der edelsten Punchlines der Saison.

6. It’s A Sin (S01)

2020 hatte die Latte für britische TV-Produktionen mit Großtaten wie Small Axe, I May Destroy You und Gangs of London so unfassbar hochgelegt, dass man heuer von einem vergleichsweisen Qualitätsabfall fast schon ausgehen musste. Dass dieser ausblieb, ist neben einigen der weiter oben erwähnten Serien auch und besonders diesem Fünfteiler zu verdanken. Zwei Jahrzehnte, nachdem er mit Queer as Folk schwule Fernsehgeschichte geschrieben hatte, lieferte Russell T. Davies nicht nur sein Opus Magnum ab, sondern gleich noch einen genuinen Straßenfeger. Dass zum Finale 6 Mio. britische Augenpaare auf die Schirme gerichtet waren, war sicher auch dem brillanten und behutsamen Aufbau dieser Aufarbeitung der aufziehenden AIDS-Welle in den Achtzigern geschuldet. Indem sich die Erzählung zuerst einmal an die Fersen diverser junger schwuler Provinz-Boys (u.a. Olly Alexander von Years & Years – der Band, nicht der Serie, die auch von Davies ist) heftete, die frisch in London gelandet das Big City Life erforschen und sich selbst finden durften, und uns unbefangen an ihrer Lebensfreude und Lust teilhaben ließ, haute einen die herzzerreißende Tragik der Zielgeraden mit umso niederschmetternderer Heftigkeit um. Und machte umso wütender ob der Ignoranz und Kaltherzigkeit, mit der diese Katastrophe sehenden Auges von allen Seiten in Kauf genommen wurde.

[Zu sehen via Starzplay]

5. Only Murders in the Building (S01)

Dass eine Serie über einen Podcast nicht lang um unsere Aufmerksamkeit buhlen würde musste, versteht sich von selbst. Dass sie selbige aber nicht nur mit Leichtigkeit halten, sondern die mittwochs auf Disney+ aufpoppenden neuen Folgen zu einer der am heftigsten herbeigesehnten Fernsehfreuden dieses Herbsts werden würden, war so aber nicht abzusehen. Ahnen hätte man es freilich können, wenn sich die seit Jahrzehnten ausgezeichnet aufeinander eingegroovten Schmähbrüder Steve Martin und Martin Short mit der erwiesenermaßen coolen Socke Selena Gomez in einem Manhattaner Apartmentkomplex auf Mörderjagd begeben und diese zum True-Crime-Podcast verarbeiten. Dabei war die exzellente komödiantische Chemie zwischen den Drei zwar der augenfälligste Trumpf des Whodunnits, aber beileibe nicht der einzige Grund, warum man sich an jenem nicht sattsehen konnte. Da war die gewiefte Murder Mystery selbst, die stets zum Miträtseln einlud, ohne sich allzu sehr in den Vordergrund zu drängen. Da waren einige wirklich gewitzte Star-Cameos und einige noch gewitztere Meta-Jokes, mitunter auch auf Kosten des Formats Podcast selbst. Und da war selbstredend dieser ureigene, aus jedem Outfit und jedem Set-Design strömende New York Vibe, den schon lang keine geschriebene Serie mehr auf eine derart unwiderstehliche Weise einzufangen verstand, dass man sich am liebsten sofort in den nächsten Flieger gesetzt hätte, um sich das alles einmal aus der Nähe anzuschauen. Man kann das angekündigte Wiedersehen mit diesen Three Amigos 2.0 jetzt schon kaum erwarten.

[Zu sehen via Disney+]

4. What We Do In The Shadows (S03)

Darf man auch von einer Workplace Comedy sprechen, wenn sie in einer Villa spielt, in der bis auf einen niemand hacklt? Sagen wir ja – und erklären diese Spin-off-Serie zum gleichnamigen Film aus 2014 einfach zur besten Workplace Comedy der Gegenwart. Gar nicht oft genug kann man wiederholen, dass dieses sehr spezielle Mockumentary-Format auch als Show famos ist, zwei überragende Staffeln legen hiervon eindrucksvoll Zeugnis ab. Zur bisherigen Bestform durfte diese sehr spezielle WG aus einem Vampirsquartett und ihrem „Familiar“ indes in dieser dritten Spielzeit auflaufen. Dass WWDITS aus der Faulheit und Unfähigkeit, die die Blutsauger in Alltagssituationen und in Interaktionen mit anderen (Kreaturen) an die Nacht legen, situationskomödiantisches Gold spinnen kann, wusste man – und es wurde auch wieder eindrucksvoll bestätigt (Extralob für die Erfindung der Wellness-Vampire!). Dass das Autoren-Team und einer der begnadetsten Comedy-Ensemble-Casts der TV-Geschichte aber aus den existenziellen Krisen, die aus einem ewigen Leben resultieren können, auch beklemmendes dramatisches Kapital schlagen und einen mit einem so nicht zu erwartenden Twist tatsächlich zu Tränen rühren konnte, war allerdings neu und wirklich wunderbar. Wo immer diese Fab Five ihre Reise zukünftig auch hinführen mag: Man möchte sie dabei nachtein, nachtaus begleiten.

[Zu sehen via Disney+ (S01+S02) bzw. Prime Video (S03 als Leihe/Kauf)]

3. The White Lotus (S01)

Der erinnerungswürdigste Übersee-Urlaub dieses Sommers fand in sechs Teilen auf dem Schirm statt. Es brauchte Woche für Woche auf Neue bloß ein paar Töne des brillanten, Vorahnungen schürenden Percussion-Titelthemas von Cristobal Tapia de Veer, um schon wieder mittendrin zu sein im Paradies des titelspendenden Luxus-Resorts auf Hawaii, in dem den gstopften Gästen vor atemberaubenden Naturkulissen vom gepiesackten Personal jeder noch so wunderliche Wunsch von den Augen abgelesen wurde, ohne jegliche Wertschätzung. Die entitled Elite: im Tunnelblick ihres Narzissmus schlicht zu sehr mit dem Mist der eigenen privilegierten Existenz beschäftigt, um sich auch noch Gedanken über die Leute machen zu können, in deren Leben man grad urlaubt. Dass dies alles nicht auf Dauer gut gehen würde, legte bereits in der Pilotfolge ein Flash Forward nahe, in dem man die Überstellung einer Leiche aufs Festland beobachten durfte. Showschöpfer Mike White (ewige Liebe für sein Enlightened) benutzte diese Murder Mystery, unterstützt von einem grenzgenialen Cast (MVPs: Murray Bartlett und Jennifer Coolidge), freilich als reinen Aufmerksamkeits-Aufhänger für eine rasiermesserscharfe Satire, die letztlich keinen Beteiligten von der Leine ließ und die ihre unangenehmsten Beobachtungen und fiesesten Momente verlässlicherweise dann lieferte, wenn man sie am wenigsten erwartete.

[Zu sehen via Sky]

1. Succession (S03)

Ein Fotofinish if there ever was one … Auf dem Treppchen, in den Top 3, wäre die dritte Season des Nachfolge-Scharmützel-Reigens im globalen, dysfunktionalen Familien-Medien-Empire Waystar Royco, ohnedies gelandet. Weil sie die auch schon formidablen Vorgängerstaffeln nachträglich wie reines Warm-up wirken ließ für die nunmehrige Hauptvorstellung in diesem glorreichen Theater der Grausamkeiten. In der die Intensität der Intrigen und Insultierungen in bis dato ungeahnte Höhen geschraubt wurde, in dem die Hackln nicht mehr nur von hinten ins Kreuz gehauen, sondern bei jeder sich ergebenden Möglichkeit offene Gefechte gesucht wurden. Als man sich aber sicher war, dass es ärger und besser nun wirklich kaum noch gehen könnte, kam diese Links-Rechts-Kombination der finalen zwei Staffelfolgen daher, die nicht nur etlichen Hauptfiguren auf brutalstmögliche Weise den Boden unter den Füßen wegzog, sondern auch der Zuschauerschar, die über so viel Chuzpe vor und hinter der Kamera nur ungläubig staunen und in weiterer Folge natürlich stehend applaudieren konnte. Und sich wundern durfte, wie es so weit kommen konnte, dass man derart um den Finger gewickelt wurde, dass man nun sogar mit wahrlich schrecklichen Charakteren Mitleid haben musste. Shakespeare, schau oba! Und dir die mit aktuellem Stand nicht nur bissigste, sondern auch beste (fortgesetzte) Serie der Gegenwart an, die für dieses Finale natürlich auch – ex aequo – auf das oberste Stockerlplatzerl gehört.

[Zu sehen via Sky]

1. The Underground Railroad (S01)

Es kann nur eine geben? Von wegen. Bei uns sind ohne weiteres auch zwei beste Shows des Jahres möglich, eine fortgeführte sowie eine in einer Staffel abgeschlossene. Eine Miniserie wie diese, von einem Oscar-Preisträger aus einem Pulitzer Prize-prämierter Roman geformt. Das Wunder von Barry Jenkins‘ (Moonlight) überragender Adaption von Colson Whiteheads Great American Novel lag darin, für sie eine filmische Sprache gefunden zu haben, die die schon auf Papier so eindringliche und erschütternde Geschichte einer Sklavin und ihrer Flucht auf der sogenannten Underground Railroad (in dieser alternativgeschichtlichen Fiktion wortwörtlich eine Eisenbahn unter der Erde) quer durch die Südstaaten noch mal eine ganz ungeahnte Wucht entfalten ließ. Weil Jenkins uns durch die Augen der Protagonistin (überragend: Thuso Mbedu) ins Herz der amerikanischen Dunkelheit blicken, sie Rassismus und Unmenschlichkeit in unterschiedlichsten Ausformungen in immer neuen Gesichtern erkennen, sie dabei aber zu keiner Zeit den Glauben verlieren ließ – schon gar nicht jenen an die Menschheit. Schonungslos, ohne dabei Leid als Spektakel auszustellen, ungeschönt, doch nie ohne Poesie und Empathie: Ein unvergessliches, magisches und tief bewegendes, der intensiveren Wirkung wegen besser Folge für Folge und nicht als Binge zu schauendes Serien-Meisterwerk über den Horror von Gestern, der auch im Heute noch viel zu laut nachhallt.

[Zu sehen via Prime Video]

Ebenfalls Erfreuliches im Schnelldurchlauf

+++ Die surreale HipHop-Dramedy Dave (aka The Lil Dicky Story) schaffte es in der zweiten Season aus dem übermächtigen Schatten des Blueprints Atlanta +++ Loki konnte mit seiner Aynthing goes-Ansatz als einzige MCU-Show ein relevantes eigenes Profil auch über die Ziellinie bringen +++ Der verstörende Noir-Horror-Drogen-Trip Brand New Cherry Flavor führte auf den Spuren von Lynch und Cronenberg geradewegs durch Hollywoods Höllentore +++ Mythic Quest etablierte sich mit seiner zweiten Staffel als eine der (immer noch gern übersehenen) Perlen im Angebot von Apple TV +++ Das nicht nur konzeptuell hochspannende Kevin Can F**k Himself entlarvte sexistische Sitcom-Tropen und ließ sie in einem Breaking Bad-würdigen Szenario aufgehen +++ Und last but not least ließ die Essayistin Fran Lebowitz, so etwas wie der Inbegriff eines leider irgendwie verschwindenden New York, in Pretend It’s A City vor der Kamera von Martin Scorsese ein hochgradig vergnügliches Feuerwerk von Bonmots und beißenden Bemerkungen ab – bitte nie vergessen: „If you can eat it, it’s not art!“ +++