Nachfolgewirkungen: In den so unterhalt- wie grausamen neuen Folgen des HBO-Hits befinden sich die Mitglieder der Medien-Dynastie mehr oder weniger im offenen Krieg miteinander. Ein formidables Gemetzel in Wort und Tat.

Darum geht’s: Um sich von einer weltweit wütenden Pandemie nicht tangiert zu fühlen, muss man sich vom alltäglichen Weltenlauf schon wirklich wirkmächtig entkoppelt haben. Die eine, lautstarke Gattung Mitmensch, die sich dieser sehr speziellen Sorte der Realitätsleugnung verschrieben hat, begegnet uns für gewöhnlich in Foren und sozialen Medien. Von ihr ist hier glücklicherweise (nicht schon wieder) die Rede. Sondern von jener anderen Gattung Mitmensch, die Covid und Co. schlichtweg deshalb nicht übermäßig zu kümmern braucht, weil sie sich in der Tat in vom Rest der Welt nahezu komplett entkoppelten Sphären bewegt. Die Rede ist von den obersten 1% – oder sogar gleich von den obersten 1% der obersten 1%. Von Super-Superreichen, von Leuten wie der Roy-Dynastie etwa, die im Zentrum dieser in ihrer dritten Staffel mit sehr großer Wahrscheinlichkeit besten und garantiert bissigsten Serie der Gegenwart steht.

Wer über obszöne Mengen an Moneten und Machtmitteln verfügt, wer sich alles immer nach den eigenen Bedürfnissen richten kann, für den gelten schlichtweg andere Regeln – und den tangiert der aktuelle Seuchenstand nur peripher. Solcherart und damit durchaus stimmig erklärte Jesse Armstrong, seines Zeichens genialischer Schöpfer von Succession, die Entscheidung, die Drehbücher der neuen Episoden nicht mit der Corona-Situation in Einklang zu bringen. Nicht, dass dem im Fokus der Erzählung stehenden Clan hinter dem Murdochseken Mega-Medienimperium Waystar RoyCo dadurch fad würde: Er ist ohnedies intensiv mit anderen Dingen beschäftigt. Zuvorderst reibt man sich natürlich wie seit jeher mit Gusto an sich selbst und dem näheren Umfeld auf. Dass man angeregt darüber mutmaßen kann, wie der polternde Patriarch Logan Roy (Brian Cox) und seine um Aufmerksamkeit und Anerkennung ringenden Nachkommen Kendall (Jeremy Strong), Shiv (Sarah Snook), Roman (Kieran Culkin) und Connor (Alan Ruck) gerade zueinanderstehen, wer von ihnen mit wem packelt oder wer grad wem ein Hackl ins Kreuz haut, ohne dabei Frieden zu finden, gehört seit Serienminute eins zu den Haupteinschaltgründen.

Nahtlos am bis dato jüngsten und bisher größten Betrug setzt der Plot der vielfach prämierten HBO-Show nun gleich wieder an – dieser bestand bekanntlich darin, dass Kendall am Ende der letzten Season eben nicht wie vereinbart seinen Kopf für einen Skandal hinhielt, sondern im Rahmen einer aufsehenerregenden Pressekonferenz den Spieß umdrehte und Übervater Logan über die Klinge springen ließ. In der sich aus diesem Hinterhalt ergebenden neuen Gemengelage müssen nun sämtliche Player erst einmal ihre Positionen und Loyalitäten bestimmen, Einflüsse geltend machen und sich alter und neuer Allianzen versichern – und dies alles, während die Geschäfte möglichst friktionsfrei weiterlaufen und klarerweise die ermittelnden Behörden hintangehalten werden sollen. Eines ist aber bald klar: There Will Be Blood.

Ebenso schnell klar: Die hohe Kunst der tiefen Schläge beherrscht Succession unvermindert in absoluter Formvollendung. Das Tempo und die Intensität, mit denen hier Intrigen gesponnen, Seiten gewechselt (oder Seitenwechsel auch bloß angedeutet), kleine und große Gemeinheiten ausgetüftelt, Beleidigungen und Demütigungen ausgetauscht werden, suchen mehr denn je ihres gleichen. Ja, der neu entdeckte offene Konfrontationskurs hat die ohnehin schon vorhandenen Spannungen sogar noch mal in ungeahnte Extreme gesteigert. Zeitweilig geht’s gar so ultraverdichtet zu und dahin, dass man nicht mehr weiß, ob man über eine weitere perfekt geschliffene Insultierung erst mal lauthals lachen oder sie sich lieber gleich auch noch notieren soll. Oder ob man doch besser hochkonzentriert dranbleiben soll, um nicht die nächste waghalsige Wendung in dieser fortwährend auf dem Gaspedal stehenden Eskalationsoper zu versäumen.

Dass dieser Hybrid aus griechischer Tragödie, Mediensatire und Primetime-Soap zwischen den Extremen fucking hilarious und unfassbar intensiv so friktionsfrei funktioniert, liegt zu einem Gutteil auch an den virtuos geschriebenen (und brillant gespielten) Charakteren. Armstrongs unwiderstehlicher Magic Trick besteht darin, die ultrareichen und überprivilegierten Ungustln, von denen man jeden einzelnen aus vielen guten Gründen eigentlich nur verabscheuen möchte, gerade gebrochen genug zu zeichnen, damit man in schwachen Momenten Mitleid mit ihnen empfindet. Versteht sich von selbst, dass einem dieses gnadenlos grausame Serien-Meisterwerk genau jenes Mindestmaß an Empathie für empathielose Menschen im nächsten Moment mit einem bitterbösen One-Liner um die Ohren pfeffert. Man würde es nicht anders haben wollen.

Besondere Beachtung: Die verdient sich wie eh und je Nicholas Britells raffinierter Score, allen voran das extra-catchy Titel-Thema, das man immer wieder von Neuem nicht mehr aus den Gehörgängen kriegt. Ebenfalls erwähnenswert: Adrien Brody und Alexander Skarsgård in Gastrollen als neue, einflussreiche, naturgemäß verkorkste Geldmenschen.

Koordinaten: Billions; Veep; Empire; The Thick of It

Anschauen oder auslassen? Anschauen. Besser wird Fernsehen dieses Jahr nicht mehr.

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