Held, mach Platz! Zur Klärung der Nachfolgefrage dreht nun auch Jeremy Renners begnadeter Bogenschütze eine Ehrenrunde in Episodenform. In „bester“ MCU-Miniserientradition landet aber auch er damit keinen Volltreffer.

Darum geht’s: Bei wem sie wohl wirklich auf dem Wunschzettel für Weihnachten stand, genau diese Spin-off-Serie aus dem ewig expandierenden Marvel Cinematic Universe? Ausgerechnet jenem Avenger ist sie gewidmet, den man stets am ehesten übersah – und wenn man ihn denn mal echt nicht mehr übersehen konnte, dann war das, weil sich just eine der wenigen zentralen Superheldinnen dieses Franchises, Black Widow, für ihn opferte – exactly, in Avengers: Endgame. Erschwerend hinzu kommt, dass Clint Barton aka Hawkeye (Jeremy Renner, übrigens grad auch noch in Mayor of Kingstown im TV zu sehen), bereits zuvor zusätzlichen zweifelhaften Ruhm eingesammelt hatte, als er in der Zeit des sogenannten Blip als maskierter Rächer Ronin durch die Straßen gezogen war, um auf eigene Faust und ohne Rechenschaft Delinquenten zur Strecke zu bringen. Einen Willkommensbonus darf man sich so nicht erwarten.

Die Bedingungen für die vierte MCU-Miniserie von Disney+ sind auch sonst keine einfachen, muss sie in zweifacher Hinsicht Erwartungen erfüllen: Neben dem nötigen Geraderücken des Gesamtbilds, das wir vom bekanntesten Popkultur-Bogenschützen jenseits von Robin Hood haben, muss sie möglichst unfallfrei und spannungsreich eine Aufgabe abwickeln, die jener ähnlich ist, mit der zuletzt bereits The Falcon and the Winter Soldier konfrontiert war. Darin war es schließlich zuvorderst mal darum gegangen, Nachfolge und Neubesetzung einer etablierten Figur zu klären – ein Zugang, der sich doch von dem von Loki und WandaVision unterscheidet, die sich mal mehr, mal weniger erfolgreich auch im Beschreiten neuer Wege versuchen durften. Eine solche Staffelübergabe – oder sollte man Pfeilübergabe sagen? – zeichnet sich nun also auch in Hawkeye ab, zumindest wenn man die zwei für diese Besprechung zur Verfügung gestellten Folgen als Maßstab heranziehen darf. Nachdem der neue Captain America also bereits etabliert wurde, soll nun der neue Hawkeye folgen.

Oder genauer gesagt: die neue Hawkeye. Denn so wie die beiden Premierenfolgen angelegt sind, besteht wenig Zweifel daran, dass diese Rolle in der MCU-Zukunft von der jungen Kate Bishop (Hailee Steinfeld) eingenommen wird. Seit Kindheitstagen, als sie der Meisterschütze während der Schlacht um New York rettete, möchte sie in dessen Fußstapfen treten – und ließ sich nach seinem Vorbild bereits im Bogenschießen und diversen Kampfkünsten ausbilden, bislang jedoch ohne konkreten sinnvollen Anwendungsgrund. Das soll sich am Abend eines Charity-Events ihrer Mutter (Vera Farmiga) ändern, an deren Rande Kate über eine suspekte Auktion stolpert, an der auch ihr windiger Stiefvater in spe teilnimmt. Unter den Versteigerungsgütern befinden sich pikanterweise auch Schwert und Suit von Ronin. Als die Veranstaltung von Eindringlingen aufgemischt wird, nutzt Kate die Gunst der Stunde dafür, sich in den Supervigilanten-Anzug zu schmeißen, um unerkannt Angreifer zu vermöbeln. Freilich wird sie auf der Flucht von Kameras eingefangen – was Hawkeye himself auf den Plan ruft, der wissen will, wer da in seinem Stoff rumlauft und -rauft. Einerseits ist es da schon recht praktisch, dass er mit seinen Kids grad auf Vorweihnachtsurlaub in New York weilt (für ein Avengers-Musical!), andererseits passt es ihm naturgemäß gar nicht in den Kram, dass dieses dunkle Kapitel seiner Geschichte wieder aufgeschlagen wurde …

Unumgänglich also, dass sich die Wege der angehenden Heroine und ihres Kindheitsidols bei nächstbester Gelegenheit kreuzen und sich die beiden fortan auch so schnell nicht mehr aus den Augen verlieren. Die sich daraus entwickelnde Beziehung folgt binnen kurzem dem Rhythmus einer klassischen Buddy-Comedy, übersetzt auf Schülerin und Mentor wider Willen: Man neckt sich und zieht sich auf, lernt aber natürlich auch voneinander, während man sich abwechselnd mit regionalen Verbrecherclans und Upperclass-Windbeuteln rumschlagen muss. Und ja, es ist zumindest für eine Weile durchaus erfrischend, dass in einer Marvel-Produktion nicht gleich wieder das Fortbestehen der Welt auf dem Spiel steht und die abzuwendenden Gefahren gar nicht erst über die Stadtmauern hinauswachsen – die Netflix-Serien dieses Universums wie Daredevil bedienten sich eines verwandten Modus operandi, wenn auch mit ernsterem Tonfall.

Wie der Wirkmacht von reinem leichtfüßigem Geplänkel rasch auch mal der Saft ausgehen kann, wenn sich keine, ähm, Schützenhilfe durch die Story hinzugesellt, musste man leider schon in The Falcon and the Winter Soldier beobachten. And yet, here we go again: All die easy-going Chemie zwischen Steinfeld und Renner kann schon in der Startphase der Serie kaum kaschieren, dass es dieser sowohl an Substanz als auch an Momentum mangelt. Statt etwa ihre Titelfigur vom, im Laufe von einem halben Dutzend Auftritten angesammelten Altlasten-Ballast freizuspielen (es ist btw kaum vorstellbar, dass man den Plot ohne Vorwissen versteht) und ihr echte neue Abenteuer zu gönnen, verstrickt und erstickt man sie ohne Not und Nachhall erneut im Geflecht der viel zu vielen gestrigen Geschehnisse. Dies geschieht allerdings auch nicht auf eine Art, die Momente des persönlichen Friedenfindens oder Fortkommens bereitstellen würde – zumindest bislang nicht. Man kann schon mal auf Frische oder Tiefe verzichten, bei beiden gleichermaßen zu schludern ist dagegen fahrlässig. Letztlich bleibt einem wenig anderes über, als sich diese Serie so wie ihren Helden vorzustellen: unaufgeregt und bescheiden, ohne spezielle Superkräfte, dabei aber auch nicht über die Maßen unterhaltsam. Liebenswert, aber auch nicht extra erinnerungswürdig. Gar nicht mal so eine großartige Ausbeute für einen Kerl, der von sich behauptet, nie danebenzuschießen. Volltreffer sehen jedenfalls unverkennbar anders aus. Hoffentlich sind zumindest Kate Bishop in Zukunft welche gegönnt.

Besondere Beachtung: Gute Frage. Nächste Frage. Hier ragt bislang wirklich gar nichts heraus.

Koordinaten: Avengers: Endgame; The Falcon and the Winter Soldier; Black Widow

Anschauen oder auslassen? Auslassen. Zumindest dann, wenn man sich nicht zu den MCU-Komplettisten zählt und wirklich keine Minute in diesem Universum versäumen will – und sei sie noch so wenig essenziell. In den sogenannten Content Wars der Streaming-Anbieter ist dies tatsächlich nur noch: Content, der rein um seiner selbst willen sowie zur Befüllung von freien Fernsehminuten da ist und nicht, weil irgendjemand das wirklich brauchen würde – geschweige denn auf dem Wunschzettel für Weihnachten stehen gehabt hätte.

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