Das goldene Dutzend der Serien-Saison brachte menschliche Lügendetektoren, liebenswert arglose Geschworene, die beste Videospiel-Adaption aller Zeiten sowie den Abschied von zwei prägenden HBO-Meilensteinen.

12. Colin From Accounts (S01)

Das einzige, was man an diesem australischen Importhit kritisieren könnte, ist der Titel. Denn selbst wenn man seine Bedeutung kennt, ist er höchstens beim ersten Mal amüsant, ansonsten aber ziemlich irreführend. Bei Colin from Accounts handelt es sich nämlich keineswegs um ein Workplace-Drama um einen Buchhalter in einem Großraumbüro, sondern um eines jener raren Exemplare einer RomCom, die auch Menschen mögen werden, die dem Genre sonst eher wenig abgewinnen können. Der „romantische“ Teil des „Boy meets Girl“-Formats wurde in den acht halbstündigen Episoden mit einer relevanten Dosis Realismus unterlegt, der Anteil tollkühner Slapstick-Momente dagegen unterdessen munter nach oben geschraubt. Der größte Vorzug der Show war aber die Aufrichtigkeit, mit der sie die zögerliche, alles andere als reibungslose Annäherung von Ashley und Gordon (gespielt vom echten Paar Harriet Dyer und Patrick Brammall, das auch die Drehbücher schrieb) einzufangen vermochte. Das Schöne dabei: Die dabei zu Tage tretenden emotionalen Wahrheiten konnten gar nicht so einschneidend sein, als dass sie nicht verlässlich von zotigen Gags flankiert wurden – oder wenigstens von einer Begegnung mit dem süßesten Hund auf Rädern …

11. Jury Duty (S01)

Schon allein deshalb, weil es eine Serie wie diese wohl noch nie gegeben hat, darf sie in dieser Aufzählung nicht fehlen. Und nein, damit ist nicht gemeint, dass Jury Duty vermutlich das erste Original von Freevee (dem werbefinanzierten Gratis-Ableger von Prime Video) war, das größere Aufmerksamkeit generieren konnte. Der Achtteiler, der eine bunte Jury bei einer Gerichtsverhandlung begleitete, wartete nämlich mit einem Twist auf, der entschieden singulär war: Einer der Geschworenen – der einnehmende Jedermann Ronald Gladden – wusste nicht, dass er sich in einer TV-Show befand. Der verhandelte Fall? Frei erfunden. Alle anderen im Gerichtssaal? Schauspieler. Diese Reality-Fiction lotete also gewissermaßen aus, was sich abspielen kann, wenn man wirklich jemanden in eine Truman Show steckt. Essentiell dabei, dass dem Format nichts ferner war als Zynismus – wir sollten nicht über Ronald lachen, sondern mit ihm. Mochen die Szenarien, in die der ahnungslose Zivilist hineingeworfen wurde, auch noch so bizarr ausarten: Stets begegnete er ihnen und den involvierten „Kollegen“ mit Empathie und Engelsgeduld. Und so war es am Ende nicht nur der Neuigkeitsfaktor, der dieses Experiment aus dem Serienalltag herausragen ließ. Für ein paar (echt lustige) Stunden gab einem Jury Duty zumindest ein wenig den Glauben an das Gute im Menschen zurück. Und den an James Marsden.

10. Scavengers Reign (S01)

Unter anderem mit der aufsehenerregenden Kill Bill-Variation Blue Eye Samurai und dem interessanten Kultfilm-Remix Scott Pilgrim Takes Off! war 2023 wahrlich kein schlechtes Jahr für animierte Fernsehkost. Den nachhaltigsten Eindruck hinterließ jedoch Scavengers Reign – nicht nur als beste Animations-, sondern auch als beste Sci-Fi-Serie der letzten Monate. Deren Hauptdarsteller war indes keine Person, sondern der „unbewohnte“ Planet Vesta, auf dem eine Handvoll Raumschiffbrüchiger nach einem Unfall gelandet war: eine wundersame Welt mit einer so atemberaubenden wie albtraumhaften Flora und Fauna, die so aussah, als ob sich Hayao Miyazaki an Body Horror versucht hat. Für die Gestrandeten ging es nicht nur darum, in einem hochkomplexen Ökosystem zu überleben, das sich total ihrem Verständnis entzog. Ja, sie mussten sich sogar mit dem Gedanken anfreunden, gegebenenfalls nie wieder auf die Erde zurückkehren zu können. Wie die besten Werke des Genres glänzte auch die Kreation von Joe Bennett und Charles Huettner durch die Verbindung von unverbrauchtem, phantastischem world building mit einem gehaltvollen philosophischen Unterbau. Mitunter benötigte es eine Weile, um sich an das bedächtige Tempo und den nachdenklichen Ton zu gewöhnen. Aber dann wollte man diesen rätselhaften Planeten am liebsten gar nicht mehr verlassen.

9. Dark Winds (S02)

Die Zeiten, in denen der US-Kabelkanal AMC mit seinen Serien-Eigenkreationen wie Breaking Bad oder Mad Men den popkulturellen Takt vorgab, sind wohl spätestens mit dem Ende von Better Call Saul Geschichte. Eher muss man aktuell beobachten, dass die unüberschaubar vielen öden Walking Dead-Spin-offs im Sender-Portfolio den Blick auf die raren Perlen verstellen. Perlen wie das Noir-Western-Format Dark Winds, das bereits in seiner zweiten Saison die populäre Leaphorn-und-Chee-Romanreihe von Tony Hillerman in sensationalles Fernsehen übersetzte – und dabei kaum wahrgenommen wurde. Nachdem die Auftaktstaffel mitunter noch zu sehr von der Etablierung des Settings und seiner Schlüsselakteure geprägt war, geriet die Fortsetzung heuer zum uneingeschränkten Triumph. Wüstenstaubige Western-Action, Mystery-Spannung und eine respektvolle Repräsentation der Bewohner des Navajo-Reservats, in dem die Show spielt, verschmolzen zu einer atmosphärischen, düsteren Geschichte um Verrat und Rache, die in ihren stärksten Momenten gar an No Country for Old Men erinnerte. Und uns mit Stammespolizei-Leutnant Joe Leaphorn (Zahn McClarnon: was für eine Bildschirmpräsenz) einen der bemerkenswertesten Helden der aktuellen Serienwelt bescherte.

8. Barry (S04)

You’ve come a long way, baby: Die vierte und letzte Staffel von Bill Haders unvergleichlicher Serienkreation löste sich mit Vorsatz und Nachdruck von ihren Wurzeln als skurril-abgründige Dramedy um einen Auftragskiller, der unbedingt als Schauspieler reüssieren will. Mit der Entlarvung Barrys (Hader himself) als kaltblütigem Mörder – ausgerechnet durch seinen Mentor Gene Cousineau (der große Henry Winkler) – und dem damit verbundenen faktischen Ende seiner Karriereträume im Showbiz änderten sich auch Vibe und Tonalität der HBO-Produktion. Losgelöst von der Vorstellung, dass der Antiheld im Zentrum des Geschehens doch irgendwie ein liebens- und erlösungswürdiger Kerl sein müsste, spielte sich Barry im Endspurt mit unerbittlicher Konsequenz inhaltlich frei. Hader nahm sich dafür bemerkenswerte erzählerische Freiheiten – in Form von großen Zeitsprüngen, halsbrecherischen Wendungen und auch mal surrealen Sequenzen, die mitunter an das Schaffen von David Lynch erinnerten. Und er entfachte im Serienfinale schließlich einen verhängnisvollen Flächenbrand, bei dem einem das Lachen ein für alle Mal im Halse stecken blieb.

7. Poker Face (S01)

Im Zeitalter der Prestigeserien mit ihren sich über ganze Staffeln entfaltenden Handlungsbögen gab es lange nichts Schnarchigeres als die alte Schule der mit jeder Folge abgeschlossenen Storys. Law & Order und Co: komplettes Boomer-TV. Aber die Zeiten ändern sich. Als die epischen Erzählungen immer vorhersehbarer wurden, erkannte Rian Johnson eine Marktlücke. Und nachdem der Regisseur mit Knives Out die pointenreiche Aufklärung komplizierter Tode im Kino wieder salonfähig gemacht hatte, reaktivierte er mit Poker Face auch noch erfolgreich das Retro-Format „Mordfall der Woche“. Allerdings nicht im Alleingang: Es war die unfassbar coole Natasha Lyonne, die diese Peacock-Serie zu einer der belebendsten Serienüberraschungen der Saison machte. Ihre Hobbydetektivin Charlie Cale, die sich auf der Flucht befand, konnte erkennen, wenn Menschen lügen, und geriet natürlich gerade deshalb immer wieder in die Nähe ungelöster Verbrechen. Jede Episode war wie ein hochwertiger kurzer Film mit ganz eigener Note inszeniert, jede Station des Roadtrips katapultierte uns in einen lebendig gestalteten sozialen Kosmos, in dem hochkarätige Gaststars wie Joseph Gordon-Levitt oder Chloë Sevigny versuchten, sich aus der Bredouille zu reden. Was bei der abgebrühten Charlie natürlich immer zwecklos war. Columbo kann endgültig in Ruhestand gehen. Ungelogen.

6. Reservation Dogs (S03)

Ja, auch diese Institution in den Bestenlisten von Screen Lights ging in diesem Jahr zu Ende. Auch wenn es etwas verfrüht schien, dass die dritte Staffel von Reservation Dogs bereits die letzte sein sollte, war es für Sterlin Harjo und seine Schöpfung der richtige Zeitpunkt für den Abschied. Wir reden hier schließlich vom absoluten kreativen Peak. Was einst als wegweisende, angenehm eigenwillige Coming-of-Age-Dramedy über ein Teenager-Quartett in einem Reservat begonnen hatte, das mit einem herben Verlust klarkommen muss, entwickelte sich zu einem Format, das Raum für spezifische Geschichten der gesamten Community fand. Sicherlich hat sich die Serie von FX Networks heuer in erster Linie Zeit genommen, um zu zeigen, wie die vier Hauptfiguren nach ihrer Rückkehr aus L.A. ihre individuellen Zukunftsfragen klärten (bemerkenswert – nicht nur wegen Ethan Hawke – die Folge, in der Elora ihren Vater traf). Aber sie spannte den Bogen so weit wie nie zuvor, verstand es unabhängig von deren Alter, anrührende und authentische Porträts indigener Charaktere zu zeichnen. Und sie ließ alles in einem bittersüßen Finale gipfeln, das Witz, Schmerz und Zuversicht so stimmig vereinte, wie es echt nur den besten Shows gelingt.

5. Beef (S01)

Die beste Netflix-Serie des Jahres begann mit einer Szene, wie sie sich tagtäglich tausendfach im Straßenverkehr abspielt. Sie steigerte sich daraufhin allerdings zu etwas absolut Einzigartigem. Nachdem der glücklose Bauunternehmer Danny (Steven Yeun) beim Ausparken beinahe einen Wagen gerammt hatte, zeigte ihm dessen Fahrerin, die Geschäftsfrau Amy (Ali Wong), den Stinkefinger. Mehr brauchte es nicht. Außer sich vor Zorn begann Danny, Amy zu verfolgen, und setzte damit eine Spirale der Eskalation in Gang, die mit immer krasseren Streichen, Fouls und Racheakten das Leben beider aus der Bahn zu werfen drohte. Was könnte zeitgemäßer sein als eine Serie über die permanent brodelnde Wut, die sich in unser aller Alltag eingeschlichen ist? Lee Sung Jins Kreation enthüllte die Abgründe der menschlichen Natur, indem sie untersuchte, was passieren kann, wenn mit ihrem Leben unzufriedene Menschen ihre Frustration in eine bestimmte Richtung lenken. Vor allem dank der inspirierten Darbietungen von Yeun und Wong, deren Charaktere viel mehr gemeinsam hatten, als sie zugeben wollten, erwies sich dieser im Gleichschritt beschrittene Pfad der Zerstörung als so urkomisch wie unerträglich, als so absurd wie aufschlussreich. Und er führte letztlich zu genau dem zwiespältigen Zielpunkt, den er sich verdiente.

 4. The Other Two (S03)

Als dieses Sitcom-Format vor vier Jahren erstmals auf Comedy Central on air ging, war allenfalls zu erahnen, dass es sich dereinst zu einer der schärfsten Satiren der Entertainment-Industrie entwickeln würde. Sicher, die effektiv einfache Prämisse – ein Teenager wird über Nacht zum Gen-Z-Idol, seine erfolglosen erwachsenen Geschwister versuchen, auf der Welle mitzuschwimmen – war schon immer reif für den großen komödiantischen Wurf. Aber es dauerte eine Weile, bis sie ihr Potenzial voll entfalten konnte. Bis zur letzten Staffel, um genau zu sein. Als in jener endlich der ganze Clan den Durchbruch im Showbiz geschafft hatte, wollte The Other Two herausfordernd wissen: „Ist das schon alles – oder geht da nicht mehr?“ Bei der Beantwortung dieser Frage entlarvten die Showrunner Chris Kelly und Sarah Schneider mit immer abgefahreneren (und doch irgendwie äußerst realitätsnahen) Szenarien und Wendungen die Irrungen und Wirrungen unseres popkulturell durchdrungenen Alltags. Hier bekamen wirklich alle ihr Fett weg – in Form so, so, so vieler zitierfähiger Oneliner: die hoffnungs- und hemmungslos opportunistische Branche so wie die Heerscharen von Egomanen, die sich in ihr tummeln (wollen) und nicht selten daran zugrunde gehen. Und natürlich auch und erst recht wir Konsumenten, die wir dieses tragische Theater der Eitelkeiten immer wieder aufs Neue verfolgen und befeuern.

3. The Bear (S02)

Dieses Serienschmankerl aus dem Hause FX wurde in seiner ersten Staffel zu Recht für seinen ungeschönten Blick in die zermürbende und prekäre Arbeitswelt der Gastronomie gefeiert. Dank der konsequent rastlosen Inszenierung fühlte man sich bei The Bear stets mittendrin statt nur dabei, in einer viel zu kleinen, viel zu lauten, viel zu heißen Küche, in der unter akuter Burnout-Gefahr gegen den Untergang eines Sandwich-Ladens gekocht wurde. Für den zweiten Teller hatte Creator Christopher Storer in diesem Jahr das Aromenspektrum erweitert, indem er dem deus ex machina des Vorjahresfinales eine schlüssige Weichenstellung folgen ließ – sowohl inhaltlich als auch inszenatorisch. Ja, natürlich vermittelte auch weiter keine andere Serie so beispielhaft, wie es zugeht, wenn hinter dem Herd die Hölle los ist. Aber die neue Situation, der Umbau zum Gourmettempel in Rekordzeit, erforderte und ermöglichte auch einen vertiefenden Einblick in die Lebenswelten der Crew-Mitglieder. Während das „Wie überleben wir das bloß?“ einem „Wie wollen wir überhaupt leben?“ wich, waren es die ruhigeren Rückblicke und die individuellen Entdeckungsreisen des Ensembles, die besonders nahrhafte Nuancen beisteuerten. Das Zusammenspiel von erprobten und unverbrauchten Komponenten brachte letztendlich einmal mehr Fernsehkost auf absolutem Sterneniveau hervor.

2. The Last of Us (S01)

„Ziemlich gut für eine Videospielverfilmung“ – ein Kompliment, das in der Vergangenheit stets mit einigem Vorbehalt ausgesprochen werden musste. Zumindest bis Craig Mazin Anfang 2023 den Nachfolger seines Miniserien-Meilensteins Chernobyl vorlegte: Seine Adaption von Neil Druckmanns Gaming-Klassiker, die nicht nur alles in den Schatten stellte, was man bisher vom Genre gewohnt war, sondern gleich noch die allgegenwärtige Zombie-Action revolutionierte. Die HBO-Produktion nahm den emotional packenden Grundton der Geschichte ebenso ernst wie den Nervenkitzel des Spielerlebnisses: eine eindrucksvolle Verquickung von facettenreichem Quasi-Vater-Tochter-Drama und aufwühlendem Survival-Abenteuer. The Last of Us vermochte dabei zwischen diesen Polen Erhellendes einzufangen: den Unterschied zwischen Leben und bloßem Überleben, die Schönheit der Hoffnung, das Wiederentdecken von Menschlichkeit. Und in einer besonders ergreifenden Episode sogar das Aufblühen einer Liebe unter allerschrecklichsten Umständen. Dieses (post-)apokalyptische Abenteuer war daher nicht nur „ziemlich gut für eine Videospielverfilmung“, sondern einfach nur sehr, sehr gut. Punkt.

1. Succession (S04)

Zugegeben: Das ist die vorhersehbarste, unoriginellste Antwort auf die Frage nach der besten Serie 2023. Aber es ist auch die einzige – denn man dürfte sich nicht wirklich zu den „serious people“ zählen, wenn man irgendwas anderes behaupten würde. Sollte jemand nach den fulminanten ersten drei Staffeln noch Zweifel an dieser Einschätzung gehabt haben, so wurden sie spätestens mit der dritten Episode dieses Finaldurchgangs, in der eine Hochzeitsfeier in Echtzeit ins größte Unglück kippte, mit Nachdruck beseitigt. Damit war auch der Showdown um die Macht im Waystar-Royco-Imperium zwischen den selbstzerstörerischen Roy-Geschwistern ein für alle Mal eingeläutet. Denn kaum waren der Schock, die Trauer und die damit verbundene Solidarität verflogen, besannen sich „eldest boy“ Kendall, Shiv und Roman gleich wieder auf ihre archetypischen Charaktermerkmale Egoismus, Argwohn und Hinterhältigkeit – und schon flogen Messer und Sprüche wieder gefährlich tief. Während Jeremy Strong, Kieran Culkin und Sarah Snook dabei um die Wette brillierten, untermauerte Creator Jesse Armstrongs scharfzüngiges Script noch einmal mit besonderer Meisterschaft die schlimmsten Vermutungen darüber, wie die Superreichen und Übermächtigen hinter verschlossenen Türen und vorgehaltener Hand agieren. Dass zu schlechter Letzt irgendwie alle verloren hatten, war der stimmige, grimmige Schlussakkord dieser Serie, die uns als eine der besten ihrer Zeit in Erinnerung bleiben wird.