Nein, kein Biopic über Bud, wohl aber ein fulminantes Porträt einer Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, das die Royal Family wenig freuen wird, Anhänger wagemutigen Filmschaffens dafür umso mehr.

Darum geht’s: „A Fable from a True Tragedy” lässt uns Spencer noch vor den ersten bewegten Bildern via Texttafel ausrichten – filmische Parameter ebenso absteckend, wie die Tatsache, dass das Folgende wohl nicht ganz so passiert sein muss wie dargestellt. Dass etwa „A Ghost Story“ als Insert nicht weniger passend gewesen wäre, signalisieren aber bereits die ersten Minuten, in denen wir Prinzessin Diana (Kristen Stewart) Anfang der Neunziger bei ihrer Anreise zu einer dreitägigen Windsor-Weihnachtsfeier zu einem dieser archetypischen rural-feudalen Anwesen, die besonders gehäuft in der britischen Landschaft aus der Erde wachsen, begleiten.

So wie sie da zu Beginn allein und etwas lost im offenen Cabrio die Landstraßen auf- und abdüst, ohne Fahrer oder Securitys, da erhärtet sich zum ersten Mal der Eindruck, der diesem Film fortan entschlossen anhaften wird: Di hat diese Welt des royalen Scheins und Zwangs eigentlich längst hinter sich gelassen, sie findet bloß unter immer größeren persönlichen Anstrengungen in sie zurück, begleitet sie gleichsam bloß noch geistergleich. Die Erkenntnis verfestigt sich in dann im Schloss Sandringham selbst weiter: Gedankenverloren huscht und tanzt die Princess of Wales durch die Gänge des Anwesens, sichtbar nicht bei der Sache oder sich selbst und doch noch nirgends anders. Die Ehe mit Charles im Eimer, nicht nur wegen seines allzu offenkundigen Seitensprungs. Jede Verspätung, jede Verweigerung ist in diesem unnachgiebigen, willkürlichen Hof-Protokoll bloß ein weiterer Vorbote eines anstehenden Verschwindens.

Nein, der Eindruck täuscht keinesfalls: Dem chilenischen Filmemacher Pablo Larraín (siehe und höre auch unseren Podcast zu dessen feiner Stephen-King-Miniserie Lisey’s Story) könnten allfällige Erwartungen an das immerwährend und durch The Crown auch aktuell wieder überaus beliebte Film-/Fernseh-Genre Royales Drama egaler kaum sein. Die Konvention etwa, die die Konversation gepflegter Natur in den Mittelpunkt solcher Erzählungen stellt: der Regisseur unterwandert ähnlich wie in seinem Quasi-Schwesternfilm Jackie – in dem die frischverwitwete Jacqueline Kennedy üble Tage durchstehen musste – durchgängig damit, dass Gespräche mit der Royal Family bloß am Rande des Interesses stattfinden. Lieber vertraut sich Di, die Maske des Mitspielens längst für alle und besonders den extra abgestellten Aufpasser (durchdringend: Timothy Spall) erkennbar abgestreift, da schon ihren beiden Buben an – oder sonst grade noch Lieblingszofe (Sally Hawkins) und wohlgesonnenem Chefkoch (Sean Harris).

Wie in einem Fiebertraum bewegen sich Larraín und Drehbuchautor Steven Knight (Peaky Blinders) durch diese Tage des anstehenden Ausbruchs, gießen dabei aufkeimende Momente der Erkenntnis in poetische Projektionen und verstörende Visionen, die am surrealen Psycho-Horror von Filmen wie Shining oder Possession geschult wirken. Ein stetiger Ritt auf der Rasierklinge einer wortwörtlichen Ent-Täuschung ist das – und er wäre ohne Kristen Stewart im Sattel kaum mit einer solchen bezwingenden Wirkung vorstellbar.

Weit über eine bloße akzent- und mimikgetreue Verkörperung Dianas geht das hinaus, was die Kalifornierin aus der Twilight Zone in diesem seelenwunden Geisterfilm hinlegt, es ist nachgerade eine Beschwörung einer ikonischen, tragischen, in der Gegenwart der ewigen Vergangenheit gefangenen Figur. Zornig und zärtlich zugleich, dabei immer auf der Suche nach der Suche, die Di angetrieben hat, jener nach Liebe, Ansprache, Verständnis. Bloß fünf Filme seien in ihrer Laufbahn bis dato gut gewesen, offenbarte Stewart neulich in einem Interview. Diesen hier darf und muss sie nun in diese illustren Runde mit aufnehmen, als ihren allerbesten.

Besondere Beachtung: Der ganz spezielle Soundtrack als halbe Miete: Das galt bereits für Pablo Larraíns Jackie, dessen pulsierende Inszenierung von Mica Levis spitzen atonalen Klangwelten kongenial unterfüttert wurde. Für Spencer hat nun Jonny Greenwood, Gitarrist und Soundtüftler von Radiohead, den Taktstock übernommen – mit ähnlich avantgardistischem Ansatz: es tönt free-jazzig, unheilvoll, mit methodischer Präzision unter die Haut gehend.

Koordinaten: Jackie; The Crown; Shining; Downton Abbey

Anschauen oder auslassen? Anschauen. Auch wenn man beim Thema Royal Drama sonst eher allergisch reagiert. Oder eben gerade dann. Pablo Larraíns freiformatig fließende Inszenierung und Kristen Stewarts komplettes Aufgehen in der Figur der Lady Di lassen den vermeintlich spröden Stoff zu jeder Sekunde auf so virtuose, eigentümlich anziehende Weise pulsieren, dass man sich beide eigentlich jetzt schon auf der Long List für die nächsten Oscars vormerken darf.

[Geschaut: Im Rahmen der Viennale 2021]