Oscar-Preisträgerin Chloé Zhao tauscht Sozialkritik gegen Superheldensaga: Die neue Ära, die ihr Epochen umspannendes Epos einleiten soll, strandet jedoch leider im Niemandsland generischen Comic-Entertainments.

Darum geht’s: „Aber auf dem Papier hatte doch alles so gut ausgesehen!“: Sagt man gern mal, meist schon desillusioniert vor sich hin, wenn sich Ergebnisse so überhaupt nicht mit den Erwartungen decken möchten. Und übersieht dabei dann und wann, dass das, was da zuvor verheißen wurde, nicht viel mehr war als knallige Überschriften, allzu maßgeschneidert für die Mission, die eigene Euphorie zu boosten wie die dritte Nadel BioNTech das Immunsystem. Und dass einem bei klarer Sicht schon früher aufhalten hätte können, wo der Hase im Pfeffer liegt. Als es etwa vor einiger Zeit hieß, dass die in den USA arbeitende chinesische Filmemacherin Chloé Zhao, damals gerade gefeiert für ihr naturalistisch nahegehendes Indie-Geschenk The Rider, die Regie in einem der kommenden Kapitel des aktuell populärsten Film-Franchises übernehmen würde, durfte man erstaunt sein darüber, was denn alles möglich geworden ist in der Industrie. Ausgerechnet eine Filmemacherin mit Gespür für die Abgehängten der Gesellschaft und Faible für visuelle Poesie und Langsamkeit, sollte nun an die Multimilliarden-Maschine MCU andocken?

Spätestens als sich Zhao dann mit ihrer noch mal konziseren Nachfolgearbeit, dem im kongenialen Zusammenspiel mit Frances McDormand entstandenen Meisterwerk Nomadland bis weit über Indiehausen hinaus Aufmerksamkeit erspielen konnte, und als Sahnehäubchen auch noch den Oscar-Ehren-Doppelpack für Besten Film und Beste Regie einfahren konnte, da war wohl definitiv nicht nur das Papier von Marvel-Studios-Chief Honcho Kevin Feige mit riesigen, massive Vorfreude verheißenden Lettern in Leuchtfarben beschriftet. Eine brandaktuelle Acadmey-Awards-Gewinnerin als Göttersagenerzählerin: Count us in, please!

Und ja, gottgleiche Gestalten sind es nun im Gegensatz zu den oft allzu sterblichen Avengers-Geschöpfen wie Iron Man oder Black Widow tatsächlich, die den Kern der Eternals-Erzählung prägen – und das auch gleich in recht unübersichtlicher Menge. Die zehn Ewigen des Filmtitels wurden vor Jahrtausenden von den Celestials auf die Erde geschickt, um die Menschheit in Schutz zu nehmen vor den Deviants – generisch grausliche Gfraster aus CGI, die sich allzu gern über den blauen Planeten hermachen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr ist der Auftrag, dem die mit diversen Superkräften ausgestatteten diversen Unsterblichen nachgehen: Ein Eingreifen in rein irdische Konflikte ist den Kameraden mit den klingenden, anspielungsreichen Namen wie Thena, Ikris und Gilgamesh tunlichst untersagt. Das sollen die Völker sich schon untereinander ausmachen und entsprechend verantworten – selbst wenn es Hunderttausende Menschenleben kostet. Logisch, dass dieser strenge, Star Trek-artige Codex über all die Jahre Zermürbungen und Zerwürfnisse in großer Zahl gedeihen hat lassen – was es ob akut wieder abzuwendender Gefahren der Gegenwart nicht einfacher macht, alle Alterslosen wieder zusammenzutrommeln.

Bis die Gang wieder in die Gänge kommen kann, braucht es folglich eine ganze Weile sowie reichlich Rückblenden, die teils auch ärgerlicher Natur (Hiroshima, musste das echt sein?) sind. Das gemächliche Tempo allein wäre kein Problem – auch in ihren Indie-Arbeiten hat Zhao bewiesen, dass das nicht sonderlich spektakulär klingende Dreiergespann aus Laiendarstellern, Langsamkeit und Landschaftspanoramen zu emotionalen Hochschaubahnfahrten taugt. Doch dafür bedurfte es eben auch des Muts, ein viertes L in Kauf zu nehmen: die Leere, die jeder für sich selbst mit Gedanken befüllen konnte. Dafür gibt es im MCU natürlich keinen Bedarf, das Werkl muss auch im 26. Durchgang unerbittlich weiterlaufen, neue Gesichter und Konzepte müssen eingeführt und eingemeindet werden in die größte fortlaufende Heldenerzählung unserer Zeit, Verknüpfungen erstellt und Verweise dargestellt. Hier zahlt alles aufs große Ganze ein, keine Atempause, Geschichten werden gemacht, und das immerfort, unermüdlich.

Zwischen innerer Unruhe und permanentem Erklärungs- und Mitteilungsbedürfnis kann Eternals indes nie zu einem Rhythmus oder gar zu einer eigenen Natur finden – und Chloé Zhao in dieser in jeder Hinsicht überbordendem Prog-Rock-Oper von einem Superheldenstreifen auch nie zu ihrem charakteristischen Tonfall. So unerbittlich walzen austauschbare Action, ästhetische Fragwürdigkeiten aus Eso-Schmalz und Ethno-Kitsch sowie schwere schauspielerische Unentschiedenheit (kaum vorstellbar, dass Angelina Jolies blutleeres Schlafwandeln und Kumail Nanjianis spitzbübisches Schmähführen mit demselben Film vor Augen eingefangen wurden) über ihre stilistischen Stärken und Sensibilitäten hinweg, dass man sich fragt, warum es bei diesem Missverständnis von – sorry! – kosmischen Ausmaßen nicht irgendwann von irgendwem eine Intervention gegeben hat. Das Ganze wirkt so, als ob man Bonnie „Prince“ Billy darum gebeten hätte, ein Muse-Album einzuspielen, in dem seine charakteristische Poesie höchstens in Intros und Interludes aufflackern darf. Das Ganze wirkt so, als ob Terrence Malicks meisterliches Menschheitsgeschichte-Epos The Tree of Life als Theme Ride in Disneyland neu aufgelegt worden wäre. Das Ganze ist: ein Jammer.

Um die begnadete Frau Zhao wird man sich derweil keine großen Sorgen machen müssen, sie wird wieder zu Geschichten von gewöhnlichen Menschen in außergewöhnlichen Lagen zurückkehren und uns solcherart noch einige große kleine Filme schenken. Um das MCU unter der einst so visionären Ägide von Kevin Feige hingegen schon etwas mehr: Nachdem man mit Black Widow und Shang-Chi zuletzt zumindest unterhaltsam auf der Stelle getreten ist, stellt dieser vermeintlich erste Schlüsselfilm aus Marvels Phase Vier einen bisher ungekannten Rückschlag im ewigen Epos dar. Das ist zwar noch kein Beinbruch, die nächsten Schritte sollten aber wieder auf deutlich festerem Boden getätigt werden. Denn das Papier, auf dem alles so gut klingt, mag geduldig sein – die Geduld derer, die es studieren, ist aber auch enden wollend.

Besondere Beachtung: Bei einem MCU-Film kommt man um die Erwähnung der Post-Credits-Szenen nicht herum. Derer gibt’s hier zwei: eine mitten im, eine nach dem Abspann. Mehr soll gar nicht verraten werden, auf eine Darsteller-Überraschung darf man sich aber auf jeden Fall freuen – zumal, wenn man eine gewisse Affinität für kontemporären Pop besitzt. Selbstredend treiben beide Szenen auch die Gesamtgeschichte weiter voran – wie könnte es auch anders sein.

Koordinaten: Avengers: Endgame; The Old Guard; Guardians of the Galaxy

Anschauen oder auslassen? Auslassen. So wenig essenziell hat sich eine Marvel-Produktion seit dem zweiten Thor-Film nicht mehr angefühlt. Um das weitere Treiben im MCU mitverfolgen mit verfolgen zu können, reicht auch ein Eternals-YouTube-Zusammenschnitt. In der gesparten Zeit kann man sich dafür Chloé Zhaos The Rider und Nomadland (nochmals) ansehen – oder recht viele Episoden der weit kurzweiligeren jüngsten Marvel-Serie What If…? auf Disney+.