Tom Hollands drittes Spidey-Soloalbum taucht Into the Spider-Verse ein – und zelebriert mit vertrauten Gesichtern und erheblicher emotionaler Resonanz den Lückenschluss zwischen Vergangenheit und Zukunft der Heldensaga.

Darum geht’s: Ungläubig schüttelt man das Haupt, prüft noch einmal Lage und Fakten, bezieht ein, wie seltsam die Zeit aus subjektiver Warte mitunter voranschreiten kann und kommt dann zum Schluss: Herrje, stimmt, alles korrekt und, hui, Wahnsinn: 2022 feiert Sam Raimis Spider-Man tatsächlich bereits seinen 20. Geburtstag. Also jener Film, der das Comic-Kino zu Beginn des Jahrtausends noch mal neu dachte, formte und in der Gegenwart ankommen ließ, jener Film, der die bis heute gültige Blaupause schuf für das das Box Office bald wie kein anderes überrollende Bewegtbild-Genre. All dies geschah bekanntermaßen ohne jegliches Zutun von Spideys damals darniederliegender Superheldenheimat Marvel, das eigene Marvel Cinematic Universe nahm dann ja erst einige Sommer später 2008 seinen Betrieb und unverzüglich an Fahrt auf – gipfelnd in einer ungebrochenen Marktdominanz, die sogar ohne den beliebtesten Haushelden, den freundlichen Netzschwinger von Nebenan im rot-blauen Spandex-Gewandex, erreicht wurde.

Es sollte noch einige weitere Jahre, genauer gesagt: bis 2015, dauern, bis sich mit Spideys-Kino-Homebase Sony und Marvel-Studios-Besitzer Disney die beiden Parteien in der Kino-Causa Peter Parker auf ein für alle Beteiligten erquickliches Modell der Ko-Existenz einigen sollten: Spider-Man sollte fortan sowohl integraler Bestandteil des MCU als auch Headliner seiner eigenen Leinwandabenteuer sein. Was mit Tom Holland (der nach Tobey Maguire und Andrew Garfield dritten und auch adäquatesten Besetzung der Figur) in der Hauptrolle bislang fünf, in künstlerischer wie kommerzieller Hinsicht überaus gewinnende Ergebnisse zeitigte. Und dennoch: Irgendetwas – nennen wir es: den Lückenschluss? – hat der langjährigen Leinwand- Spinnenmannsaga seither immer noch gefehlt. Bis jetzt.

Hier beginnt nun der Bereich dieser Besprechung, der einem einzigen großen Tanz auf rohen Eiern gleicht, in dem jeder Satz so gründlich auf etwaige Spoiler-Gefahren abgeklopft werden muss, wie es wohl seit Avengers: Endgame (mit dem der Film in gewisser Hinsicht mehr gemein hat als vermutet – ist das schon auch schon zu viel verraten?) nicht mehr der Fall war. Gehen wir es furchtlos an: No Way Home knüpft unmittelbar ans Ende des zweiten Holland-Soloalbums Far From Home an, als der damalige Endgegner Mysterio und Ungustlkonstante J. Jonah Jameson (J.K. Simmons) preisgaben, dass sich ausgerechnet der Highschool-Knabe Peter Parker hinter dem Superhero Spider-Man verbirgt. Diese Enthüllung droht nunmehr nicht nur dessen Leben komplett aus der Bahn zu werfen, sondern auch das seiner Liebsten: Freundin MJ (Zendaya) und Best Buddy Ned (Jacob Batalon) haben nun genauso wie Peter selbst Probleme damit, überhaupt von einem College akzeptiert zu werden. Vom ganzen anderen Remmidemmi gar nicht zu reden.

Aber es gibt zumindest in dieser Welt ja schließlich nix, was ein von berufener Hand vollzogenes Hokus Pokus nicht wieder richten kann. Also steht Peter bald vor den Toren eines gewissen Stephen Strange (Benedict Cumberbatch), der die Welt des adoleszenten Avengers-Spezls in der Not mit einem riskanten Ritual wieder geradebiegen soll. Weil selbiges durch Spideys achtlose Interventionen nicht ganz nach Plan verläuft (nun folgt der Spoiler, den man schon aus den Trailern kennen könnte), stehen jedoch plötzlich Bösewichte sonder Zahl auf der Matte – durchaus bekannte Bösewichte freilich, die Spider-Man an sich alle schon mal zur Strecke gebracht hatte. Oder besser gesagt: Ein Spider-Man. Schließlich waren Genossen wie Green Goblin (Willem Dafoe), Doc Ock (Alfred Molina), Electro (Jamie Foxx) und Co einst Kontrahenten der Maguire- und Garfield-Spideys, finden sich nun aber durch die diversen von Doctor Stranges Aktion aufgemachten Portale des (bereits im Animations-Ableger Spider-Man: Into The Spider-Verse wie der MCU-Serie Loki eingeführten) Multiversums unfreiwillig in der Welt von Holland-Spidey wieder. Dessen hehres Ansinnen, die Schufte nicht nur zu schnappen, sondern sie auch zusätzlich einer Art Besserungs-Prozedur zu unterziehen, erweist sich indes nicht unerwartet als gewaltiger Schuss in den Ofen, der einige neue, alte Probleme heraufbeschwört. Wie gut, dass die Multiverse Madness aber auch noch weitere Überraschungen bereithält …

Wie jene Überraschungen nun aussehen könnten, darf sich nun jede und jeder selbst ausmalen, sie sind jedenfalls definitiv geeignet, für ausgiebiges Zungenschnalzen bei Freunden gehobenen Marvel-Entertainments zu sorgen. Offensichtlich fand auch der erneut im Regiestuhl sitzende Jon Watts reichlich Vergnügen daran, uns ins Netz seines ambitionierten, postmodernen Meta-Megamixes der Spider-Man-Welt(en) zu locken. Eifrig rollt er bereits abgeschlossen geglaubte Handlungs- und Figurenstränge abermals auf, um sie noch einmal anders und mitunter auch stimmiger ausarbeiten und arrangieren zu können. Sicher, da mag manche Idee, manch Insider-Schmäh auch mal ein wenig zu selbstzweckhaft daherkommen, da mag nicht jeder Action-Doppelaxel mit Bravour gestanden werden, da mag die Halbwertszeit dieser einzigen großen Fan Fiction schon nach dem Heimweg vom Kino erreicht sein. Der ungenierten narrativen Chuzpe und dem unwiderstehlichen nostalgischen Vibe dieses in vielerlei Hinsicht ultimativen Universums-Ausflugs ist aber unbestreitbar nur mit allergrößter Anstrengung zu widerstehen. Und warum sollte man das überhaupt wollen? Lieber schüttelt man auch abschließend noch einmal erfreut ungläubig das Haupt, erstaunt über all die Dinge, die da bald zwei Jahrzehnte nach Raimis Urknall immer noch möglich sind.

Besondere Beachtung: Verdient natürlich diese eine große Enthüllung, die unter die Kategorie „Schwerer Spoiler“ fällt und hier nicht ausgeplaudert wird. You’ll know it when you see it!

Koordinaten: jeder Spider-Man-Film seit 2002; Avengers: Endgame

Anschauen oder auslassen? Anschauen. Schließlich schenken Jon Watts und Tom Holland mit Spider-Man: No Way Home nicht nur ihrer eigenen Trilogie ein angemessen ausladendes Finale, sondern gleich der gesamten 20-jährigen Spinnenmann-Kinosaga einen runden und würdigen Abschluss. Einen vorläufigen immerhin: Der Blick zurück und zur Seite weckt natürlich zugleich auch die Neugier auf alles, was da künftig noch an aufregendem Neuem aus dieser (Straßen-) Ecke kommen mag.