Das goldene Dutzend der Film-Saison brachte Rivalitäten auf und neben dem Tennisplatz, Fake-Auftragskiller, wiederauferstandene Fürsten der Finsternis, denkwürdige Roadtrips und einen künftigen Klassiker des Body Horror.

12. Rebel Ridge

Dieser Jeremy Saulnier ist schon so etwas wie die Geheimwaffe des modernen Actionkinos, die stets unter dem Radar fliegt. Mit Rebel Ridge bewies der Regisseur von Blue Ruin und Green Room einmal mehr, dass bei ihm in diesem Metier auch mal eher unbehagliche Gesellschaftsdiagnosen Platz haben dürfen. Sein Rambo-Remix folgte einem schwarzen Ex-Marine (stoisch: Aaron Pierre), der in einer Kleinstadt Opfer eines korrupten Polizeisystems wurde, das Gesetzeslücken nutzt, um im großen Stil abzukassieren. Was folgte, war ein Kampf um Würde und Gerechtigkeit, der nicht nur die Auswüchse solcher Vermögensabschöpfung ins Visier nahm, sondern auch den tief in die Strukturen von Macht und Recht eingewobenen Rassismus. Trotz seiner gewaltvollen Momente blieb dieser schlanke, dicht erzählte Throwback Movie stets gehaltvoll: Lustvoll unterwanderte er das Genre – und wies schließlich sogar über dieses hinaus. Schade, dass er sich nie auf einer Leinwand entfalten durfte, sondern bloß im Algorithmengrab von Netflix verbuddelt wurde. Es bleibt wohl weiter bei „unter dem Radar“…

11. Nosferatu

War dies, gewollt oder ungewollt, der Film, auf den Robert Eggers immer hingearbeitet hat? Die unverwechselbaren ästhetischen und inhaltlichen Signaturen und Spuren von The Witch, The Lighthouse und The Northman sprachen diesbezüglich einfach eine zu deutliche Sprache. Und doch hatten wir es bei diesem auf den allerletzten Metern der Spielzeit 2024 veröffentlichten Gothic-Horror mit einem ganz eigenen, pardon, Biest zu tun. Im Schatten des Klassikers von F.W. Murnau versuchte sich Nosferatu an der Beantwortung einer kniffligen Frage: Lässt sich dem Vampir-Mythos, dem in den letzten Jahren bereits bis zur Unkenntlichkeit das kreative Blut abgezapft wurde, überhaupt noch neues Leben einhauchen? Die Antwort kam in Form eines elaborierten, psychosexuellen Schauerstücks, das eben nicht nur mit erotischen Subtexten spielte, sondern rohe Begierde ostentativ zu Tage förderte. Oder halt die Nacht, durch die man hier an der eiskalten Hand der fulminanten Lily-Rose Depp zwischen Nervenkitzel und fiebrigem Taumel schwankte. Allerspätestens bei der grotesk geilen Schlusseinstellung gefror einem das Blut in den Adern. Man hätte es sich nicht anders gewünscht.

10. Strange Darling

Je weniger man vorher über diesen Film weiß, desto stärker ist seine Wirkung: Eine Phrase, die gerne überstrapaziert wird – im Fall von J.T. Mollners filmischem Vexierspiel traf sie allerdings eindeutig den Kern. Hier ist Zurückhaltung in Sachen Spoiler keine PR-Floskel, sondern essentiell. So viel sei dennoch verraten: Die Struktur des Thrillers – ein Puzzle aus nicht chronologisch verbundenen Kapiteln – zwang sein Publikum, die Beziehung der beiden Protagonisten (Willa Fitzgerald und Kyle Gallner) ständig neu zu bewerten. Mit jedem neuen erzählerischen Puzzlestück wurden Erwartungen durchkreuzt, während zugleich das Gesamtbild an Prägnanz gewann. Mit einer beinahe unverschämten Geschmeidigkeit führte Mollner sein Publikum an der Nase herum: Strange Darling glich einem Prisma, das aus jedem Blickwinkel ein anderes Bild offenbarte. Hier war wirklich nichts so, wie es auf den ersten Blick schien – und genau darin lag der teuflische Reiz dieser Produktion.

9. Hit Man

Ironie des Schicksals: Ausgerechnet Netflix, wo Richard Linklaters Animationsfilm Apollo 10 ½ zuletzt weitgehend unbeachtet im Streaming-Orbit verglühte, wurde (in den USA) zur Bühne seines glorreichen Comebacks. Mit einer Krimikomödie, die in bester Linklater-Manier Tiefgang und Leichtigkeit vereint, lieferte der Regisseur einen veritablen Publikumserfolg ab. Im Fokus: Identität und Wandel – Themen, die in der Geschichte des unscheinbaren Philosophieprofessors Gary Johnson ihren Dreh- und Angelpunkt fanden. Hollywoods neuer Dream Boy Glen Powell verkörperte Johnson, der sich für die Polizei als Auftragskiller ausgab: ein Doppelleben, das ihn nicht nur beruflich, sondern auch privat neu erfand. Hier hatte es einen cleverer Tanz auf der Linie zwischen Noir und RomCom – mit 1A-Twists, einem elektrisierenden Techtelmechtel zwischen Gary und Adria Arjonas Madison und einer Prise schelmischem Humor, mit dem die Grenze zwischen Realität und Rollenspiel ausgelotet wurde. Ja, diese schlaue, sexy und auch inspirierende Geschichte über den Mut zum Neuanfang war tatsächlich ein Hit, Man.

8. Des Teufels Bad

Der dritte Langfilm von Veronika Franz und Severin Fiala wusste um seine Wucht – und brachte sie ehrfurchtgebietend effektiv zur Entfaltung. Schleichend, aber mit schonungsloser Konsequenz offenbarten sich die Schrecken dieses kunstvoll zwischen historischem Horror und psychologischem Drama balancierenden Werkes, das in seiner fast meditativen Versunkenheit geradezu unaushaltbar eindringlich wirkte. Vor allem durch Anja Plaschgs furchtlose, fulminante Interpretation der tragischen Heldin Agnes wurde diese durchaus radikale Reflexion über den Umgang mit psychischer Krankheit und sozialer Enge zu einer echten Offenbarung. Die Heftigkeit, mit der sie uns tief in eine gebrochene Seele blicken ließ, war Garant für Gänsehaut und wässrige Augen. Der härteste und beste österreichische Film seit langem, ein leises, aufrüttelndes Meisterwerk.

7. I’m Still Here

Lange nichts gehört von Walter Salles, der sich einst mit Central Station und The Motorcycle Diaries als Spezialist für nuancierte Erzählungen empfahl. Umso erfreulicher sein Comeback: das behutsame, unaufgeregte Porträt einer vom Schicksal gebeutelten Familie vor dem Hintergrund der brasilianischen Militärdiktatur der 1970er Jahre. Mittendrin: Eunice Paiva (außerordentlich: Fernanda Torres), die nach der Verschleppung ihres (Ex-)Politiker-Ehemanns alles daransetzen musste, ihre Familie zusammenzuhalten. Salles skizzierte ein Tableau von Verlust und Widerstand, wobei er das persönliche Drama zu einer übergreifenden Tragödie auffächerte: Die Geschichte einer Sippe wurde zum Abbild einer ganzen Gesellschaft. Zwischen Empathie und politischer Schärfe formulierte Ainda Estou Aqui (so der Originaltitel) einen universellen Appell für Gerechtigkeit. Der Film setzte der Vergangenheit ein würdiges Andenken – und war zugleich eine eindringliche Mahnung an die Gegenwart. Nicht als einziger auf dieser Liste.

6. A Real Pain

A pleasant surprise: Indie-Nervenbündel Jesse Eisenberg ist mit seiner zweiten Regiearbeit (nach dem unausgegorenen When You Finish Saving the World) eine exquisite Tragikomödie über Familie, Verlust und das Erbe des Holocaust gelungen. A Real Pain schickte zwei ungleiche, halb- bis völlig entfremdete Cousins – den neurotischen David (Eisenberg) und den exzentrischen Benji (Kieran Culkin) – auf einen Roadtrip durch Polen, der sie auf den Spuren ihrer geliebten Oma bald an die Grenzen ihrer Belastbarkeit führte. Eisenbergs Buch und Regie imponierten mit pointiertem Dialogwitz und ausgeprägtem Gespür für Zwischentöne, während Culkins herausragende Performance zum Herzstück des Films avancierte: Der Succession-Standout meisterte mit Bravour den Spagat zwischen sprunghaftem Enthusiasmus und tiefer Verletzlichkeit. Die sensible Buddy-Komödie verzichtete auf einfache Antworten und stellte stattdessen eine Frage, die nachhallte: Wie lebt man mit dem Schmerz, der bleibt?

5. The Zone of Interest

Jonathan Glazers oscarprämierte Annäherung an eine Familie, die sich direkt neben Auschwitz ihr kleines Paradies schaffen will, war ein Werk, das nicht zeigen, sondern fühlen lassen wollte. Ohne die Kamera jemals in das Konzentrationslager zu führen, zog der britische Regisseur in seinem erst vierten Film eine unsichtbare Wand zwischen Betrachter und Grauen – genau darin lag seine beklemmende Kraft. Während die Schreie und Schüsse hinter der Gartenmauer nur leise als Mahnung wahrnehmbar blieben, entfaltete sich vor der Kamera eine geradezu hypnotische Normalität. Glazers radikaler Verzicht auf plakative Gewaltbilder ließ die Gleichgültigkeit der Protagonisten umso beklemmender erscheinen. Unterstützt von Mica Levis dissonantem Soundtrack und Łukasz Żals präziser Kamera kreierte Glazer einen filmischen Alptraum, der sich in die Psyche fraß: weniger Holocaust-Drama als vielmehr schonungsloser Blick auf die Dynamik der Verdrängung – und damit leider auch ein zutiefst aktuelles Werk.

4. Challengers

Luca Guadagnino ist mit dem ersten und besseren seiner beiden 2024-Filme (die Burroughs-Adaption Queer entgleiste nach gutem Start) Erhebliches geglückt: ein Sportfilm, der poetisch, erotisch und emotional daherkam. Diese Ménage-à-trois dreier Tenniswunderkinder, die zu Freunden, Rivalen und Liebenden werden sollten, scherte sich erfreulicherweise wenig um Genreerwartungen – und um überholte Männerphantasien schon mal gar nicht. Guadagnino und seinem glänzenden Hauptdarstellertrio Zendaya, Mike Faist und Josh O’Connor ging es vielmehr darum, die Regeln der Anziehung, die Machtspiele des Begehrens auszuloten. Jedes Gespräch war hier ein Schlagabtausch, und jeder Schlagabtausch auf dem Platz hätte auch einer im Bett sein können. Diese Spannung zwischen Anziehung und Abstoßung fasste der Regisseur mit einer schweißtreibenden wie hintersinnigen Bildsprache ein – fabelhaft flankiert vom pulsierenden Techno-Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross. Am Ende stand ein ständig in Flammen stehendes Mixed-Doppel aus Tennisdrama und Dreiecksromanze, in dessen Fokus das Spiel hinter dem Spiel stand: die unbewusste Choreografie, die uns in Beziehungen leitet.

3. The Substance

Nach ihrem furiosen Vergewaltigungs-Rachethriller Revenge hat Coralie Fargeat mit ihrem Cannes-Gewinner ein weiteres, noch größeres, verstörendes Ausrufezeichen gesetzt: Zwischen Body-Horror und Hollywood-Satire durchleuchtete ihre saftige, scharfsinnige Neuinterpretation von Das Bildnis des Dorian Gray mit chirurgischer Präzision Themen wie Schönheitsnormen, Altern und weiblichen Konkurrenzkampf. Demi Moore gab ihre verletzlichste Performance als Fitness-TV-Ikone mittleren Alters, die sich ein geheimnisvolles Serum injizierte und in Margaret Qualleys Sue eine neue, jüngere, bessere Version ihrer selbst erschuf. Doch statt Rettung brachte dieses Ebenbild nur alptraumhaftes Schlamassel und in groteske Gewalt übersetzte unerfüllte Sehnsüchte. Hinter dieser blutgetränkten, exzessiven Symphonie aus Splatter und Gore lauerte ein bitterer Kommentar auf die frauenfeindliche Mechanik des Showbusiness – und auf den hohen Preis, den der Jugendkult fordert. Fargeats Botschaft war unmissverständlich: Die wahre Gefangenschaft sind die falschen Ideale, denen wir uns unterwerfen.

2. The Brutalist

Mit seiner dritten Regiearbeit hat sich der (ehemalige?) Schauspieler Brady Corbet ein für alle Mal als maßgeblicher zeitgenössischer Filmemacher etabliert, der kein künstlerisches Risiko scheut. Über dreieinhalb Stunden (Intermission inklusive) entfaltete er mit wilder Ambition die epische Geschichte von László Tóth (Adrien Brody in einer Karrierebestleistung), einem genialen jüdisch-ungarischen Architekten, der nach seiner Flucht aus Europa im Amerika der Nachkriegszeit mit den Verheißungen und Verwerfungen des Kapitalismus und seiner Identität ringt. Corbet verband eine kühne Inszenierung, eine erstklassige Darstellerriege – darunter Guy Pearce und Felicity Jones – und Anklänge an die cineastischen Großwerke der 70er Jahre zu einem filmischen Monument, von dem stets auch eine verführerische Rätselhaftigkeit ausging. The Brutalist fesselte und forderte gleichermaßen, faszinierte als Werk von visionärer Größe, das wie Tóths Bauten den Anspruch auf Zeitlosigkeit erhob: ein bildprächtiges (DoP Lol Crawley drehte im legendären VistaVision-Format) und wirkungsmächtiges Statement über den Preis der Individualität und die paradoxe Natur des amerikanischen Traums.

1. Anora

Mit Meisterleistungen wie The Florida Project und Red Rocket, die mit Laiendarstellern und einem zutiefst menschlichen Blick auf das Leben am Rande der Gesellschaft glänzten, hat sich Sean Baker längst als einer der wichtigsten Independent-Filmemacher seiner Generation etabliert. Sein jüngster und bislang größter Wurf, Anora, in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet, bewahrte die empathische Energie dieser Werke, verschränkte sie aber mit der chaotischen Dynamik einer Screwball-Comedy. Was zunächst wie eine fast konventionelle Liebesgeschichte zwischen einem Jungen und einem Mädchen anmutete – wenn der Junge ein steinreicher Oligarchenspross ist und das Mädchen eine Sexarbeiterin aus der Arbeiterklasse, die seinen impulsiven Heiratsantrag annimmt –, eskalierte nach und nach zu einer vogelwilden Odyssee durch eine New Yorker Nacht, in der die Idylle schneller implodierte, als jemand Take Thats „Greatest Day“ anstimmen konnte. Spätestens im durchgeknallten, elektrisierenden Mittelakt entfernte sich Anora weit von allen Pretty Woman-Anklängen und näherte sich der fiebrigen Intensität einer Safdie-Produktion. Mit der umwerfenden Mikey Madison in der Titelrolle gelang Baker eine hinreißende Pastiche aus Sozialkritik, überdrehtem Humor und melancholischem Grundrauschen. Der beste Film des Jahres endete mit der besten Schlussszene des Jahres, die der Sehnsucht nach dem Leben, das man sich wünscht, die Realität dessen gegenüberstellte, was bleibt.