Drohgebärden, Drehgebärden und „Make Hollywood great again, bitte schen“: Die brandneue Podcast-Kolumne für The Gap widmet sich existenziellen Ausnahmezuständen in Filmen und für Filme.

Jo mei, ich weiß auch nicht, wie ich mir das vorgestellt habe. Dass ich meine munteren Einlassungen zu allem, was mit bewegten Bildern zu tun hat, irgendwann mal wieder starten könnte, indem ich einfach direkt ins Thema springe? Ohne vorher die zuverlässig mit frischer Gülle gefüllte Kloake der Weltpolitik durchqueren zu müssen? Think again, kleiner Kolumnenfritze, think again! Doch tauche bitte vorher noch einmal ein in diese stinkerte Lauge aus Hybris und Hass, Niedertracht und kleingeistiger Rachsucht, an deren Odeur man sich zwar schon gewöhnt zu haben glaubte, die aber – wie in der Mockumentary This is Spinal Tap (deren Sequel übrigens tatsächlich noch dieses Jahr kommen soll!) – mittlerweile unverhohlen so up to eleven daherkommt, dass man sie sich wirklich nicht noch unentrinnbarer imaginieren kann. Gnadenlos wird die zone von morgens bis abends mit shit geflutet, bis auch den Allerabgebrühtesten der Atem stockt. Und wenn dann final alle zermürbt sind, geht es wohl erst richtig los. Womit auch immer. Will man so genau gar noch nicht wissen.

Drehgebärden

Dass irgendwann auch das Kino die Härten dieser neuen Realität zu spüren bekommen würde, war in dieser allumfassenden Narretei zwar absehbar, wurde aber gerne verdrängt. Bis schließlich die besonders brillante Eingebung in die gewiss darauf wartende Welt ventiliert wurde, man könne doch bitte auf Filme ebenfalls Zölle erheben. Zumindest auf jene, die es wagen, auch nur einen Produktionsschritt außerhalb des geilsten Landes dieses und jedes anderen Universums zu setzen. So unvernünftig kann man doch nicht sein, oder? Eben!

Wer sich aber nach der initialen Schockstarre über „Make Hollywood great again, bitte schen!“ sogleich tausendundeinen Gedanken über etwaige Folgen oder gar konkrete Umsetzungsmöglichkeiten solcher Systemsprengungen machte, der hatte sich wohl schon viel tiefer in die Materie eingefuchst als alle beteiligten, sicherlich hochkompetenten Personen zusammen. Da hatte wohl so mancher Cowboy zu heftig den Asphalt geküsst … Auch wenn sich die Nachrichtenlage zum Zeitpunkt der Lektüre dieser Zeilen erneut mehrfach gedreht haben wird (vermutlich in andere schreckliche Richtungen), lohnt es, sich vor Augen zu führen, was solch gravierende Verschiebungen der Voraussetzungen für die Situation eines Werkes bedeuten, wie dem, das im Zentrum dieser Kolumne steht – ein Film, der sicher nicht in einem Studio-Lot in Los Angeles oder in Georgia gedreht werden könnte. Weil er eben an eine ultraspezifische Kulisse gebunden ist; nicht aus künstlerischem Übermut, sondern weil es die Realität der Erzählung verlangt.

Into the Wild

The Salt Path (Kinostart: 17. Juli) basiert auf dem gleichnamigen Bestseller von Raynor Winn, der die wahre Geschichte einer mehr als langen Wanderung entlang der südwestenglischen Küste erzählt, bei der 1.000 Kilometer und 35.000 Höhenmeter überwunden wurden – sowie ein existenzieller Ausnahmezustand. Nach einer fehlgeschlagenen Investition und einem verlorenen Prozess haben Raynor (Gillian Anderson) und Moth (Jason Isaacs), ein Ehepaar in seinen Fünfzigern, gerade ihr Haus eingebüßt. Darüber hinaus hat Moth eine niederschmetternde Diagnose erhalten: Kortikobasales Syndrom – eine unheilbare neurodegenerative Erkrankung. Das mit dem letzten Ausweg wird wörtlich genommen. Deshalb geht es zu Fuß, mit Rucksack, Zelt und dem, was von Sack und Pack noch übrig ist, auf besagten Südwestküstenpfad – im Kampf gegen Wind, Wetter und Verzweiflung.

Zugegeben: Das klingt nicht nach Hochspannung und filmischer Grenzgängerei, mehr nach Hashtag-Heilung, nach Social-Media-tauglicher Selbstfindung. Aber wie man von Werken wie Chloé Zhaos Oscar-Gewinner Nomadland (Thema der ersten Kolumne hier!) oder David Lynchs still-kraftvollem The Straight Story weiß, kann gerade von solchen entschleunigten Roadmovies eine eigentümliche Kraft ausgehen, wenn man sie auf sich wirken lässt. In dieser Tradition steht auch das unaufgeregte Spielfilmdebüt der renommierten Theaterregisseurin Marianne Elliott. Mit poetischer, packender Bildsprache (Kamera: Hélène Louvart) und einem exzeptionellen Duo im Zentrum wird einfach von zwei Menschen erzählt, die aus der Bahn geraten sind – und doch nicht stehen bleiben wollen.

Marschierender Widerstand

Grunde darf The Salt Path als eine filmische Annäherung an Verlust, Veränderung und Versöhnung – mit sich selbst, mit anderen, mit der Natur – verstanden werden. Als eine Geschichte über das Altern, über die harsche Wildnis als Spiegel innerer Kämpfe, über das Gehen als Akt des Widerstands. Und natürlich: auch über einen Staat, der Menschen zunehmend durch soziale Netze fallen lässt. Freilich nur einen unter vielen.

Dass Jason Isaacs hier bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr im Rahmen einer Auszeit von existenziellen Abgründen umkreist wird, ist zwar ein Zufall, aber ein schöner. Denn wo in The White Lotus das Grauen satirisch zugespitzt im High-End-Hotel lauerte, taucht es hier nahe jener salzigen Gewässer auf, in denen Elliotts UK-Regie-Kolleginnen Andrea Arnold und Lynne Ramsay fischen, wo es auch mal sozialrealistisch und schmerzhaft zugeht.

Ob ein gewisser Staatenlenker am Ende vielleicht genau das mit seinen Drehgebärden (sic!) sagen wollte? Dass sich solche tragischen Geschichten ohne Weiteres auch in seinem vermeintlich geliebten Heartland abspielen könnten – mit Menschen, die unverschuldet vom System ausgespuckt wurden, nicht zuletzt vielleicht sogar unter Mitwirkung radikaler politischer Entscheidungen? Fraglich, ob das die Botschaft war, die er aussenden wollte. In gewisser Weise hat er es trotzdem getan.