Das goldene Dutzend der Film-Saison bot eine nervenzerfetzende Wüstenodyssee, sophisticated-sexy Spionage-Spaß, eine neue Instant-Horrorikone und gleich mehrere schmerzhaft unterhaltsame Gegenwartsdiagnosen.

12. The Secret Agent

Es liegt nahe, The Secret Agent als Komplementärfilm zu Walter Salles’ letztjährigem I’m Still Here zu lesen. Beide Werke erzählen von politischer Verfolgung während der brasilianischen Militärdiktatur und von Menschen, die versuchen, unter unmenschlichen Bedingungen Haltung zu bewahren. Zudem bezog auch Kleber Mendonça Filhos Politthriller seine Thrills eher aus dem Zustand permanenter Bedrohung als aus einer Anhäufung von Actionszenen. Er richtete seinen Blick dabei auf das soziale Gefüge im Schatten der Diktatur, auf eine fragile Gegenöffentlichkeit. Darüber hinaus war The Secret Agent aber auch ein Liebesbrief ans Kino, wurden die Ereignisse bedacht durch filmische Erinnerung gefiltert: Horrorfilme in Lichtspielhäusern spiegelten die kollektive Paranoia, surreale Brüche – das abgetrennte Bein! – kippten das Geschehen bisweilen gar kurz ins Groteske, ohne den souveränen Erzählton zu unterlaufen. So entfaltete sich dieser politische Albtraum in der ureigenen Sprache seines Ausdrucksmediums: stets mit wilder Überzeichnung kokettierend, dabei jedoch von großer emotionaler Wucht und Wahrhaftigkeit. Nicht zuletzt in einer Welt, in der autoritäre Mechanismen leider wieder allzu vertraut wirken.

11. Black Bag

Wie erzählt man den elegantesten Spionagethriller des Jahres? So wie Steven Soderbergh, der das Genre als Ehedrama aufzog: Michael Fassbender und Cate Blanchett glänzten (wie nicht anders zu erwarten) als langzeitverheiratete britische Spione, deren Beziehung auf die Probe gestellt wird, als ein Maulwurf in ihrer Organisation enttarnt werden soll. Black Bag zog als sleeker, brillant konstruierter Suspense in mitunter intimstem Rahmen in seinen Bann: Soderbergh und sein Stammautor David Koepp, die heuer auch den Geist-POV-Horrorfilm Presence verantwortet haben, zogen in eineinhalb Stunden ein knisterndes Psychospiel aus subtiler Manipulation, witzigen bis hitzigen Wortgefechten und unterschwelliger Erotik auf, in dem mit jedem Blick und jeder Geste der schmale Grat zwischen Liebe und Loyalität, Vertrauen und Verrat neu ausgelotet wurde. Ein Musterbeispiel dafür, wie klassisches Agentenkino dekonstruiert werden kann, ohne Spaß und Sophistication aus den Augen zu verlieren.

10. If I Had Legs I’d Kick You

Da es in dieser Liste an einem neuen Film der getrennt arbeitenden Safdie-Brüder mangelt –Marty Supreme war nicht rechtzeitig zu sehen, The Smashing Machine blieb blaß –, übernimmt eben ein Werk aus ihrem erweiterten Umfeld diese Position. Mary Bronsteins zweiter Film knüpfte mit seiner nervösen Intensität von Minute 1 an jenes Kino der permanenten Eskalation an, das mit Good Time und Uncut Gems kanonisch wurde. Kein Zufall: Produziert wurde der Film von Josh Safdie und Marys Mann Ronald Bronstein, dem Co-Autor und Cutter jener Arbeiten. If I Had Legs I’d Kick You übertrug diese fiebrige Energie auf ein selten derart rigoros vermessenes Terrain: den Alltag einer auf sich allein gestellten Mutter. Rose Byrne (never better) verkörperte Linda, deren Leben zu einer Abfolge unaufhörlicher Belastungen geriet: Hier ein chronisch krankes Kind, dort ein einsturzgefährdetes Zuhause, dazwischen eine therapeutische Praxis voller fremder Krisen, während die eigenen sich immer höher stapelten. Bronstein zeichnete Linda ungeschönt als widersprüchlich, überspannt, mitunter kaum auszuhalten. Mit unbeirrter Ehrlichkeit folgte der Film seiner Heldin ins Bodenlose, ohne Schuldzuweisungen auszustellen, aber auch ohne eine easy Katharsis zu liefern. Dieses erschütternde Protokoll einer Erschöpfung war nur schwer zu ertragen – dennoch konnte man seinen Blick nicht davon abwenden.

9. Weapons

Nach seiner ein wenig holprigen Talentprobe Barbarian präsentierte Zach Cregger heuer sein erstes Premiumwerk. Die Prämisse von Weapons las sich so einfach wie beklemmend: 17 Kinder verlassen in einer Nacht zeitgleich und scheinbar aus freien Stücken ihre Elternhäuser – und kehren nicht mehr zurück. Cregger dröselte die Geschichte allerdings nicht linear, sondern kapitelweise aus verschiedenen Perspektiven (Lehrerin, Eltern, Polizist, Stadtstreuner) auf und ordnete die Ereignisse so an, dass sich der Plot aus den diversen Wahrnehmungsausschnitten kontinuierlich verdichtete (während lang gehaltene Einstellungen und klaustrophobische Settings eine Atmosphäre permanenter Bedrohung evozierten). Die teils fast unerträgliche Intensität brach Cregger dabei immer wieder mit surrealen Einlagen und geschickt platziertem schwarzem Humor auf, bis man sich mitunter wie in einem Halloween-Remix von Pulp Fiction vorkommen durfte. Was ausdrücklich als großes Kompliment verstanden werden soll. Und ja, falls es nicht ohnehin schon klar war: Amy Madigans grotesk unheimliche Tante Gladys ist ein Instant-Horror-Icon, ein potenzieller Verkleidungs-Klassiker für die kommenden Jahre.

8. Nickel Boys

Dass Adaptionen von Colson Whiteheads Pulitzer-Preis-prämierten Werken auch zur großen Bewegtbildkunst gereichen können, wissen wir seit 2021, als The Underground Railroad zum Miniserien-Meisterwerk wurde. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis auch Nickel Boys verfilmt werden würde. Unerwarteter war da schon Regisseur RaMell Ross‘ Herangehensweise an diese Geschichte über eine allzu reale Höllenanstalt für Jungen im Florida der Jim-Crow-Ära. Hier wurde ausnahmslos mit POV-Shots aus der Ich-Perspektive erzählt – emotionale Distanz: unmöglich. Weit über ihre bloße Bebilderung hinaus wurde die Romanvorlage zur immersiven Erfahrungsreise ausgebaut, in der durch wagemutiges Experimentieren mit Montage, Ton und Kameraführung Gefühle und Traumata auf sehr eindrückliche Weise erfahrbar wurden. Nickel Boys offenbarte sich so als schmerzhaft intensives Manifest der radikalen Empathie, bei dem insbesondere die leisen und scheinbar beiläufigen Momente nachhaltigen Eindruck hinterließen.

7. Sentimental Value

Mit seinem in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichneten Follow-up zu The Worst Person in the World erweiterte und vertiefte Joachim Trier die Themenwelt jenes Konsens-Hits – die Identitätsfindung einer jungen Frau – um eine explizit familiäre Dimension. Sentimental Value nutzte die Geschichte von zwei Schwestern und ihrem entfremdeten Vater, einem einst gefeierten, narzisstischen Filmregisseur im Kreativtief, um über Erinnerung, Kunst und die Aneignung gelebter Erfahrung zu sinnieren. Dreh- und Angelpunkt hier: ein großes, altes Haus in Oslo, das als emotionaler Speicherort einer Familiengeschichte fungierte. Formal weckte dies unweigerlich Assoziationen mit Ingmar Bergman, doch Trier übersetzte dessen psychologische Strenge in eine zeitgenössische Filmsprache, die von Zärtlichkeit und Ironie geprägt war. In dieser Studie über generationenübergreifende Traumata und die (Un-) Möglichkeit von Nähe waren es denn auch vor allem die Zwischentöne, die den Regisseur im Verbund mit seinem langjährigen Drehbuchpartner Eskil Vogt und dem Top-Darstellertrio – Renate Reinsve (great again!), Stellan Skarsgård, Inga Ibsdotter Lilleaas – interessierten. Sentimental Value lebte von Blicken, Pausen und allem, was unausgesprochen blieb. Der Film zeigte, wie tief familiäre Muster eingeschrieben sein können; beziehungsweise wie schwer es sein kann, ihnen zu entkommen.

6. Sinners

Mit Sinners gelang es Ryan Coogler (Black Panther) geschickt, sich von Erwartungshaltungen freizuschwimmen. Sein erster Nicht-Franchise-Film seit Fruitvale Station erwies sich als enorm ambitionierter, elektrisierender Genrehybrid aus Southern Gothic, Historienfilm, Vampirhorror und, ja, Musical. Die Zwillingsbrüder Smoke und Stack (Michael B. Jordan in einer Doppelrolle) kehrten hier anno 1932 aus Chicago ins Mississippi-Delta zurück, um einen eigenen Juke Joint zu eröffnen, einen Ort der Musik, des Tanzes und der schwarzen Gemeinschaft. Doch die spirituelle Kraft des Blues lockte alsbald dunkle Mächte an: weiße Vampire, die ewiges Leben als Flucht vor Unterdrückung versprachen. Coogler schloss Blutsauger-Gänsehaut mit gesellschaftspolitischen Einlassungen zu Rasse und kultureller Ausbeutung kurz – bis in einer ekstatischen Tanzsequenz schließlich die Kernthese des Films zu Tage treten konnte: Freude ist Widerstand. Sinners zog als visuell opulentes Spektakel in den Bann, war erzählerisch unerschrocken und in seiner thematischen Substanz unbestreitbar subversiv: ein gelebtes Zeugnis dafür, dass dem Populärkino auch weiterhin Sprengkraft eigen sein darf.

5. Hamnet

Der kreative Rebound von Chloé Zhao (Nomadland) nach dem Eternals-Fiasko hätte schwerlich imposanter ausfallen können. Ihre Verfilmung von Maggie O’Farrells historischer Fiktion nahm den Tod von William Shakespeares Sohn als Grundlage für eine Meditation über Verlust, Erinnerung und die Kraft der Kreativität. Dabei blieb Hamnet durchweg im Privaten verankert, näherte sich dem Schaffen Shakespeares ausschließlich über jenen traumatischen Einschnitt, der sein Denken und Schreiben (vermeintlich) für immer prägen sollte. Paul Mescal deutete den Dichterfürsten als rauen, zurückgenommenen Mann, der seiner Trauer im Alltag kaum Worte geben konnte und ihr daher eine andere Form zu suchen trachtete. Herz des Films war aber fraglos seine Frau Agnes, von Jessie Buckley mit der bemerkenswertesten schauspielerischen Leistungen des Jahres verkörpert: ein Porträt von echter ursprünglicher Kraft und extremer Verletzlichkeit. In Zhaos Inszenierung wurden rustikale Naturbilder, häusliche Intimität und ein mit Mystik flirtender Realismus zur atmosphärischen Einheit zusammengeführt, die in der Verschränkung von Hamnets Tod und der Hamlet-Premiere schließlich zu einer ergreifenden Auflösung gelangte. Kunst mag den Schmerz nicht tilgen können, im besten Fall wird dieser aber durch sie zu einer Erfahrung, die universell verstanden und geteilt werden kann.

4. No Other Choice

Selbst wenn Bong Joon-ho mit Mickey 17 den immensen Erwartungen nach Parasite nicht ganz gerecht wurde, musste man sich um das südkoreanische Kino anno 2025 keine Sorgen machen. Einmal mehr sprang Park Chan-wook ein – mit einem Film, der thematisch ähnlich angelegt war wie besagter Oscar-Hit, aber in seiner Umsetzung sehr unique blieb. Park verwandelte Donald Westlakes Roman über einen entlassenen Musterkarrieristen (Lee Byung-hun, Squid Game), der aus Existenzangst beginnt, seine Konkurrenten um einen Arbeitsplatz über den Jordan zu schicken, in einen jener von kontrollierter Grausamkeit geprägten Thriller, die sein Werk seit jeher auszeichnen. Unter der formvollendeten Oberfläche trat diesmal jedoch eine explizite Sezierung des spätkapitalistischen State of Mind zum Vorschein: auf rabenschwarze Weise wurde mit der Logik einer Welt abgerechnet, die Menschen nach ihrer Verwertbarkeit sortiert und in der Gewalt zwangsläufig zur ultimativen Form der Anpassung werden muss. No Other Choice zeigte diese Eskalation mit allen Konsequenzen, nahm dabei seinen Protagonisten und dessen Malaise jederzeit ernst. Mit einem Mix aus Suspense, Seelenschau und Slapstick stellte der Film die schaurige Frage: Wie überlebt man in einer Welt, in der jeder ersetzbar ist?

3. Sirât

Der arabische Titel Sirât bezeichnet die schmale Brücke zwischen Himmel und Hölle – und genau dort verortete der galicische Regisseur Oliver Laxe seine irrwitzige filmische Odyssee. Inmitten der marokkanischen Wüste begleitete der Film einen Vater (Sergi López), der gemeinsam mit seinem kleinen Sohn nach seiner verschwundenen Tochter suchte. Ihre Spur führte sie zunächst zu einer Raver-Community, die sich, unbeeindruckt von Nachrichten über den Zerfall der Weltordnung, immer weiter ins Nichts vorwagte. Was sich daraus entspann, verbietet den Versuch einer Nacherzählung – sagen wir so: Sirât war eine singuläre Erfahrung, die sich in keiner Minute antizipieren ließ, man musste sie einfach aushalten. Laxe verband Motive des Roadmovies mit apokalyptischer Bildgewalt und Echos von Mad Max oder Lohn der Angst. Er komponierte daraus einen tranceartigen, knüppelharten Grenzgang zwischen Ekstase und Erschöpfung, Nihilismus und Katharsis. In jenen Momenten, in denen ganze Kinosäle mit vor die Augen gepressten Händen zusammenzuckten und sich doch nicht abwenden konnten, wurde klar: Das war Kino, das auf so spezielle Weise an die Substanz ging, wie man es nur selten erlebt.

2. Train Dreams

Guillermo del Toros Frankenstein hin, Kathryn Bigelows A House of Dynamite her: Diese Adaption von Denis Johnsons schmaler, schwergewichtiger Novelle ist der Film, dem Netflix im Oscar-Rennen seine volle Aufmerksamkeit schenken sollte. In Train Dreams richtete Regisseur Clint Bentley (Sing Sing) den Blick auf jene, die das moderne Amerika mitformten, ohne je in dessen Geschichte verzeichnet zu werden. Konkret erzählt wurde das Leben des Holzfällers und Eisenbahnbauers Robert Grainier, von Joel Edgerton so zurückgenommen wie eindringlich verkörpert: ein stoischer Mann, dessen Dasein sich über Jahrzehnte harter Arbeit, flüchtigen Glücks und tiefer Verluste im pazifischen Nordwesten des frühen 20. Jahrhunderts spannte. Wie Johnsons Vorlage verzichtete der Film weitgehend auf klassische dramaturgische Zuspitzung und folgte lieber dem Rhythmus gelebter Erfahrung: das Verrinnen der Zeit, der Wandel der Landschaften, Menschen, die kommen und verschwinden. In Bildern von großer Ruhe und Schönheit, oft getränkt vom Licht der magischen Stunde (DP: Adolpho Veloso), erinnerte dieses Mini-Epos an das Kino Terrence Malicks, ohne dessen Sprache plakativ zu imitieren. Aus der Charakterstudie eines Mannes entfaltete sich eine Chronik des frühen 20. Jahrhunderts – einer Zeit, in der Fortschritt und Einsamkeit mitunter untrennbar miteinander verbunden schienen.

1. One Battle After Another

Mit One Battle After Another vollbrachte Paul Thomas Anderson einen ebenso unvermuteten wie bemerkenswerten Spagat: Einerseits war es seine unterhaltsamste Arbeit seit Boogie Nights, andererseits agierte der derzeit vermutlich beste Regisseur mit einer für ihn eher ungekannten realpolitischen Unmittelbarkeit. Der Action-Thriller, der sich sehr frei an Thomas Pynchons Gegenkultur-Parabel Vineland orientierte, folgte einem Ex-Revolutionär namens Bob (Leonardo DiCaprio), der von seiner Vergangenheit eingeholt wurde, als sich ein alter Antagonist (Sean Penn) anschickte, seine Tochter (die exzellente Newcomerin Chase Infiniti) in seine Gewalt zu bringen. Freilich dekonstruierte One Battle After Another den Mythos vom heroischen Rebellen, der am Ende den Tag retten wird. Bob trat als lethargischer, ausgebrannt wirkender Mann in Erscheinung, oft zu spät und eher Hindernis als Hilfe. Strahlende Retter sahen definitiv anders aus. Gerade aus dieser entschlossenen Entmythologisierung bezog der Film (unter anderem) aber seinen Reiz. DiCaprio machte Bob mit offener Verletzlichkeit und feinem Gespür für dessen innere Leere zum unerwartet anrührenden Zentrum des wüsten, wüstenstaubigen Treibens. Geschultert wurde dieses auch vom erstklassigen Ensemble: Sean Penns faschistischer Colonel war so abstoßend wie unvergesslich, Teyana Taylor hinterließ mit roher Entschlossenheit einen der markantesten Eindrücke des Kinojahres. Mit auffallendem Zug im Storytelling, stellenweise herrlich absurdem Humor und meisterhaft choreografierten Actionszenen blieb dieser exzeptionell ambitionierte Film auch erstaunlich zugänglich. Zugleich war er jedoch von einer unmissverständlichen Haltung getragen: Große revolutionäre Gesten mögen ins Leere laufen, doch Fürsorge, Solidarität und die Weitergabe von Verantwortung sind Dinge, die letztlich wirklich Bestand haben. Diese Verbindung aus politischer Dringlichkeit und erzählerischer Virtuosität resultierte in der eindrücklichsten Gegenwartsdiagnose dieses Jahres. 10/10.