Oscars, Emmys, Cannes, Venedig: Allerorten regnete es 2021 Preise für Filmemacherinnen. In der Podcast-Kolumne widmen wir uns den beiden schillerndsten Siegerfilmen: Titane und The Power of the Dog.

„Ein Hattrick, der in die Geschichtsbücher eingeht!“ Zum Kolumnen-Kick-off: einfach mal so sensationalistisch saftigen Sportjournalismus-Sprech in die ausverkaufte Arena feuern – so hätte ich mir das gedacht, so hätte das garantiert gekracht. Aber eben nur bis zu jenem Zeitpunkt, zu dem der durch freiwillige Prokrastination und unfreiwilliges Pausemachenmüssen im Niederschrifts-Aufschub gelandete Leidartikler von der in solchen Fällen gern ins Treffen geführten normativen Kraft des Faktischen überholt, ja, nachgerade überrollt wurde – und sich der Dreier- zum Fünferpack auswuchs. Hä, wie meinen?

Also, die absurderweise bis heute medial kaum verbreitete Ausgangslage wie Anfangsthese wäre gewesen: Das hat’s noch nie gegeben, dass der Oscar für beste Regie/besten Film, die Goldene Palme von Cannes UND der Goldene Löwe von Venedig, die prestigeträchtigsten Auszeichnungen für Bewegtbildkunst also, in einer Saison allesamt von Filmemacherinnen eingefahren werden konnten. 2021 gelang das Historische nun innerhalb eines Halbjahres: Ende April räumte Chloe Zhao mit Nomadland bei den Academy Awards ab, im Juli die Französin Julia Ducournau mit Titane an der Croisette und im September schließlich ihre Landsfrau Audrey Diwan mit L’Événement am Lido. Doch ganz so, als ob das Fernsehen dem Film auch in dieser Hinsicht nicht nachstehen wollte, gesellten sich just am Tag dieser Textabgabe auch noch Regiepreise für Jessica Hobbs und The Crown (Kategorie Drama-Serie) sowie Lucia Aniello und Hacks (Comedy-Serie) bei den Emmys, den wichtigsten TV-Awards, dazu. Und, da war noch nicht mal die Rede davon, dass die große Jane Campion in Venedig überdies den Silbernen Löwen für Beste Regie für ihr jüngstes Werk The Power of the Dog einfahren konnte. Uff. Und: geil.

Ein unwiderstehlich motorölverschmierter Mutant

Weil dieser Kolumne aber nur beschränkter Platz zur Verfügung steht und auch unser Podcast sich kurzen Laber- und Laufzeiten verschrieben hat, soll es hier nun rein um jene zwei Arbeiten gehen, die demnächst neu und legal in unseren Gefilden geschaut werden können. Allen voran Titane, dem seit der Weltpremiere der Ruf eines großen Transgressions-Theaters vorauseilt – und das mit gutem Recht. Gibt es in Ducournaus Zweitling (nach dem Kannibalismusschocker Raw) doch nicht wenige Momente, in denen man sich auch mit einiger Körperkino-Schauroutine noch die Hände vor die Augen halten muss. Wie ein unwiderstehlich motorölverschmierter Mutant aus Cronenbergs Crash, der Tetsuo-Reihe und dem bizarren Doku-Drama The Imposter schlägt die Geschichte einer Tänzerin mit Titanplatte im Schädel, die es mit der Autoerotik sehr wortwörtlich nimmt, schwanger und zur Serienkillerin wird, sich auf der Flucht als erwachsene Version eines vor Jahren vermissten Jungen ausgibt, um bei dessen traumatisierten Vater untertauchen zu können, zuverlässig wirkungsvolle Haken. Dass sich diese auch auf maximal schmerzhafte Weise ins Fleisch bohren können, dass es dieser Identitätsfindung und Sexualitätserkundung in ihren wahrhaftigsten Momenten an Intensität so wenig mangelt wie an Empathie, dass dabei freilich auch nichts ausbuchstabiert und schon gar nicht gerechtfertigt werden muss, darin liegen fraglos die großen Stärken dieses wegweisenden Werks.

Es war nicht unbedingt zu erwarten, dass sich mit dem ersten Spielfilm von Jane Campion (Das Piano) nach ewigen 12 Jahren Pause – dazwischen gab es zumindest die eine Staffel lang herausragende Serie Top of the Lake – an Titane thematisch halbwegs friktionsfrei anknüpfen lässt. Auf den ersten Blick hat der mit dicker Netflix-Börse und all den damit verbundenen High-End-Schauwerten umgesetzte Spätwestern The Power of the Dog auch gar nicht so viel gemein – auf den zweiten, so man das halbwegs spoilerfrei behaupten darf, allerdings so einiges. Denn so vermeintlich konventionell sich der auf einem vergessenen Romanklassiker von Thomas Savage beruhende Plot zunächst auch als Dreiecksbeziehungs-Drama mit ungleichem Brüderpaar im Zentrum anlässt: Die Neuseeländerin versteht mit ihrer auf Andeutungen, Ambivalenzen und die Kraft von Bildern vertrauenden Erzählweise, mit den Abzweigungen der Handlung und den Beweggründen ihrer Figuren eben genauso lang hinter dem Berg zu halten, wie es die Erzählung erfordert. Wie bei Ducournau geht es Campion in ihrer subtilen Western-Dekonstruktion darum, via der von Benedict Cumberbatch in einer Karrierebestleistung verkörperten, von überkommenen Männlichkeitsideen vergifteten Hauptfigur, Geschlechterstereotypen kunstfertig zu sezieren, um sie hernach ohne fehlgeleitete Sentimentalität aufzubrechen – ohne dabei jedoch die Liebe fürs fundamentspendende Genre aus den Augen zu verlieren. Das ist wahrlich, um zum Schluss noch mal in die einleitende Sportjournolingo zurückzufallen: Eine Liga für sich.