Die Podcast-Kolumne für The Gap schaut sich diesmal anhand von Danny Boyles Sex-Pistols-Miniserie an, wie das Fernsehen von heute der popkulturellen Revolution von gestern eine Zukunft schenken kann – und wie nicht.

Der befreite Blick nach vorn: Er ist verstellt, nicht bloß ein bisserl, sondern ziemlich massiv und tendenziell dauerhaft. Die Welt, die dir bisher ohnehin nur äußerst selten Gutes verheißen wollte, sie scheint nun endgültig auf den Hund gekommen, am Ende angekommen. Die Preise schießen im Affenzahn durch die Decke, während deine eigenen Chancen täglich ein Stück weiter ins Bodenlose sinken. Rezession, Resignation. Dieses Schweinesystem hat dir wahrlich wenig mehr zu bieten außer der modrigen Ideen und Ideologien von Vorgestern, die man dir bei jeder sich bietenden Gelegenheit ungefragt aufs Auge zu drücken versucht. Das Heute saugt und der Ausblick auf noch Entstehendes ist längst auch nicht mehr das, was er einmal war. Aber wenn du schon No Future hast, dann soll das gefälligst auch die ganze Welt wissen – und vor allem: hören. Alles muss raus, so laut wie möglich.

Anarchy in the UK

Gegen die Agonie anschreien, die Zustände zulärmen: seit Urzeiten ein probates Mittel der Wahl – spätestens aber seit einem ganz bestimmten Urknall, der sich Mitte der 70er-Jahre in London zutrug. Zurückzuführen ist dieser auf eine Band(e) abgehängter Aufrührer, deren gemeinsamer Kürzest-Kreativfunkenflug eine Explosion entfachte, so laut und intensiv, dass deren Ausläufer bis zum heutigen Tage nachhallen. Die Story der, richtig, Sex Pistols ist einer jener Stoffe, aus denen die unkaputtbarsten Outsider-Rockstar-Träume sind – die erbaulichen genauso wie die entsetzlichen; in jedem Fall aber die aus der unstillbaren Verwertungslogik der Popkulturproduktion nicht mehr wegzudenkenden. Aus diesem Grund gibt es nun eine weitere Bewegtbildaufarbeitung jener Tage, in denen Anarchy in the UK herrschte: Die ab 28. September auf Disney+ abrufbare Miniserie Pistol baut auf Lonely Boy, den Memoiren von Steve Jones, seines Zeichens Gitarrist und Gründer der Pistols, auf – fürs TV adaptiert wurden sie von einem Gespann, das auf dem Gebiet der Jugendkulturvermessung schon einschlägige Verdienste verbuchen konnte. Drehbuchautor Craig Pearce half neulich dabei mit, Elvis elektrisierend auf die Leinwand zu hieven, Regisseur Danny Boyle zeigte bereits vor einem Vierteljahrhundert in Trainspotting, wie es ist, young and restless im Reich der ewigen Queen zu sein.

Überschießende Parolen

So nimmt es kaum Wunder, dass die zwei Serienarchitekten entlang der Leitplanken Bandfindung in ärmsten Verhältnissen und kometenhafter Aufstieg zunächst einen auf den ersten Blick ganz gut schaubaren Zugang finden: schnelle Schnitte und knallige Collagen-Ästhetik zaubern einen hyperaktiven Rock’n’Roll Swindle auf den Schirm, über den sich auch Sex Pistols-Impresario Malcolm McLaren gewiss gefreut hätte – oder zumindest amüsiert. Nicht ganz unironisch ist es freilich, dass ungefähr mit dem Auftauchen von dessen Serien-Version eine Eintrübung des schönen Scheins von Pistol einhergeht, die danach nie wieder vergeht. Überschießend flamboyant gezeichnet ist dieser McLaren nämlich eine jener unverzeihlichen Figuren, die es nicht nur nur in Biopics gibt, sondern die sich auch permanent wie im Wissen um ihre Existenz in einem ebensolchen benehmen. Aufgehängt auf Dauer-Sloganizing („I don’t want musicians, I want saboteurs!“) kommt die Produktion bald kaum noch ohne jenes Megaphon-Messaging aus, das dir ohne Unterbruch versichern muss, dass hier gerade Geschichte gemacht, dass Bahnbrechendes und ungemein Bedeutendes geschaffen wird, dazu bestimmt, die Welt tiefgreifend aus den Angeln zu heben. Doch selbst, wenn diese hier postulierten Prophezeiungen ja prinzipiell wahr werden durften: So hat sie damals ganz fix niemand ausposaunt. Man merkt die Absicht und ist verstimmt – dafür muss man noch nicht mal Pistols-Front-Zornbinkerl Johnny Rotten sein, der sich in gewisser Vorahnung schon früh vom Projekt distanziert hat.

Ja, je weiter man sich in den sechs Episoden vorwagt, desto stärker verfestigt sich sogar noch der Eindruck, dass Boyle hier tatsächlich betrüblich wenig eingefallen ist, was über das Deklamieren von Sprüchen für die nächste H&M-Punk-Kollektion, eine gewiss sehr persönliche Nostalgiereise und das reine Runterrattern von Bullet Points aus der Band-Wiki hinausreicht. Man fragt sich, was uns Pistol eigentlich vermitteln möchte, was wir nicht bereits in zahlreichen zwingenderen Zeitzeugen-Annäherungen an Band und Bewegung – von Greil Marcus‘ Lipstick Traces über Alex Cox‘ Sid and Nancy bis Julien Temples The Filth and the Fury – erfahren durften? Was es uns zu erzählen hätte über die ja nicht nur popkulturelle Sprengkraft dieses kurzen, durchaus heftigen protoanarchischen Aufbegehrens, über einen gewissen damit verbundenen gesellschaftlichen Wandel, der das Denken und Fühlen vieler junger Menschen nachhaltig verändern konnte? Ja, auch über allfällige Parallelen zur Gegenwart, die nicht ganz unabsichtlich zu Beginn dieses Textes evoziert wurden? Oder was es auch „nur“ nicht schon zigfach Wiedergekäutes zu berichten hätte über das (Innen-) Leben dieser genialen Dilettanten im Auge ihres selbstkreierten Orkans? So bleibt wenig anderes übrig als final konsterniert zu konstatieren: The Punk Revolution Will Not Be Televised – oder zumindest nicht in dieser Form, die Rebellion bloß als pseudo-edgy, grell aufgemachtes Nachstellen für die Dauerrotation im nächstbesten Hard Rock Cafe versteht und dabei gar nicht auf die Idee kommt, den Blick auch nach vorne oder zumindest zur Seite zu richten. Solch seichte Retromanie ohne Eigeneinfall oder Erkenntnissuche hat völlig zu Recht: No Future.

[Geschaut: gesamte Miniserie]