Ein düsteres Meisterwerk für düstere Zeiten: Matt Reeves, Robert Pattinson und Zoë Kravitz laden im dauerregennassen Gotham zur bildgewaltigen, hypnotischen Superheldendämmerung mit Noir-Begleitung.

Darum geht’s: Der Fledermaus, man kommt ihr so schnell nicht mehr aus. Und da soll nicht einmal die Rede sein von jenem besonders unglückseligen Exemplar jener Spezies, das uns mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die größte Gesundheitskrise der Jetztzeit beschert hat. Schließlich war die Bat auch schon vor Corona regelmäßig in, ähm, aller Munde – allemal verlässlich in Verbindung mit jenem Mann, der sich als solche maskiert in Gotham auf Kriminellenjagd begibt. Kaum ein Popkulturjahrgang der letzten eineinhalb Dekaden, der ohne Batman oder zumindest seinen Kosmos auskam: Christopher Nolan widmete ihm die gleich mal das gesamte Comic-Kino-Genre konsequent neu denkende und deutende Dark Knight-Trilogie, Zack Snyder legte in der jüngeren Vergangenheit weitere zweieinhalb (wesentlich umstrittenere) Werke nach. Sogar als Lego-Maxerln wurde der Caped Crusader hernach noch mehrmals über die Leinwand gejagt, bevor der noch unmaskierte junge Bruce Wayne zuletzt in Joker einen Auftritt hatte. Und da haben wir noch kein Wort über die Nebenfiguren-Serien-Ableger von Gotham bis Pennyworth verloren …

Und weil man sich in der Welt von DC Comics in wohltuender Abkehr vom rigid durchgetakteten Marvel-Universum längst von Lappalien wie Character Continuity verabschiedet und etwaige Ungereimtheiten mehr als Feature denn als Bug versteht, darf die Allgegenwärtigkeit des Batman 2022 besonders bizarre Blüten treiben. Bevor sich nämlich im November in The Flash nicht nur der alte Snyder-Batman Ben Affleck, sondern auch gleich noch der uralte Tim-Burton-Batman Michael Keaton in die Flederhaut werfen werden, darf darüber hinaus und bereits jetzt Robert Pattinson (in seinem nach ausgedehntem Indie-Kino-Intermezzo zweiten Blockbuster-Auftritt in Folge) seinen Einstand als jüngste Inkarnation des ewigen, unkaputtbaren Superhelden feiern.

Unkaputtbar ist hier aber erst mal relativ, Superheld sowieso. So wenig klassisch heldenhaft, so fertig, nicht nur mit der Welt, sondern auch mit sich, wie in The Batman von Matt Reeves (auf der Vita-Habenseite, u.a.: zwei packende Planet der Affen-Filme) sah man den maskierten Rächer selten. Einem, sorry!, Vampir gleich schleicht er durch die vom Dauerregen abgenützten Nächte der Stadt, während er griesgrämig was von Gerechtigkeit und der Angst, die er bei Verbrechern hervorruft, grummelt – und dennoch damit hadert, dass sich die Verbrechenslage in den zwei Jahren seiner Aufräummission nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert hat. Selbst in Zerstreuung und Ablenkung, etwa durch ein motiviertes Partylöwenleben, wie es sich Christian Bale in den auch schon denkwürdig am Abgrund tänzelnden Nolan-Filmen noch gönnte, sieht dieser Bruce Wayne überhaupt keinen Sinn mehr – entsprechend prickelnd ist die Stimmung in der Batman-Cave, in der der miesepetrige Milliardär mit den mascara-untermalten Augen im Wayne Tower mit seinem einzigen treuen Gefährten Alfred (Andy Serkis) abhängt, denn auch. Bringing the Goth to Gotham. Wo endet der traumatisierte Vigilante, wo beginnt der Soziopath?

Konsequenterweise dekonstruiert Reeves aber nicht nur seinen Superhelden, sondern obendrein gleich das gesamte Genre, das dieser bewohnt. Klar, ohne Batmobil, strahlendes Bat-Logo am Firmament und bewährtes Figurenarsenal (ja, das ist Colin Farrell als Penguin) kommt auch The Batman nicht aus – doch darüber hinaus fühlt sich diese Ausführung der eigentlich gut erforschten Erzählung von der ersten Minute an anders an, aufregend anders, beunruhigend anders. Dem oft vernachlässigten Aspekt, dass der Fledermausmann auch als The World’s Greatest Detective bezeichnet wird, Folge leistend tanzt der auf Jeph Loebs Comic Classic The Long Halloween basierende Antisuperheldenfilm nämlich verlässlich im Takt eines Noir-Krimis. Eines Noirs der besonders nachtmahrigen, nihilistischen Sorte freilich. Die als Vernichtungsfeldzug gegen die Eliten Gothams aufgezogene Rätselrallye, die der irre Incel The Riddler (Paul Dano) gleichsam für Batman ausrichtet – in der Annahme, dass man die Korruption im Mega-Moloch zusammen um jeden Preis bekämpfen könnte – ist David Finchers finsteren Serienkillerthrillern der Marke Sieben und Zodiac dabei um Neonlichtjahre näher als etwa den grellen Batman-Filmen der zweiten Hälfte der Nineties.

Im meisterlichen Verbund mit Kameramann Greig Fraser (Dune, Rogue One) gießt Reeves diese Reise ins Reich der Schatten der Sin City in eine atmosphärisch ultraaufgeladene Ästhetik, die bisweilen so immersiv daherkommt, dass sie glatt als character in its own right durchgeht. Ein wissendes Wechselspiel aus düsterem Realismus und den artifiziellen Überhöhungsstrategien des Pulp führt uns solcherart unausweichlich in die Grenzgebiete der menschlichen Psyche. Die zur nachhaltigen allgemeinen Verunsicherung geeignete Bildgestaltung untermalt dies mustergültig: An den vorsätzlich verschwommenen Rändern unserer Wahrnehmung verlieren wir, so wie unser schwermütiger Fledermausfreak, in räumlicher wie moralischer Hinsicht die Orientierung. Und dabei nach und nach die Hoffnung, aus der verkorksten Nummer noch unbeschadet rauszukommen. Wie Bruces Batman weiß man aber: Man wird es nichtsdestoweniger versuchen müssen. Immer weiter, immer wieder. Überwältigt und aufgewühlt, auf unheimliche Weise elektrisiert und berauscht taumelt man letztlich nach diesem Wuchtwerk aus dem Kinosaal – hinein in die echte Welt. Sie erscheint kaum weniger verstörend oder aus den Fugen geraten als die eben erlebte erfundene. Und längst nicht mehr nur wegen der Sache mit dieser anderen, chinesischen Fledermaus. Im Ohrwurmgedächtnis dreht derweil ein in im Film omnipräsenter Nirvana-Evergreen unermüdlich seine Ehrenrunden. Something in the Way. Ja, ohne Zweifel. Die bange Frage ist nur: Was?

Besondere Beachtung: Verdient zum einen natürlich Zoë Kravitz, easy und mit Abstand die beste Catwoman-Besetzung seit Michelle Pfeiffer. Nuanciert, vital, enigmatisch. Man darf sich schon auf mehr crazysexycool Chemie mit Pattinson freuen – im unvermeidlichen Sequel. Das dann hoffentlich wieder Michael Giacchino vertonen wird. Der Soundtrack des bis dato besonders gern für Pixar tätigen Komponisten ist nichts weniger als ein sonisches Naturereignis, das auch beim Daheimhören ohne dazugehörige Bilder konstant Gänsehaut garantiert.

Koordinaten: The Dark Knight; Joker; Zodiac; Sieben

Anschauen oder auslassen? Anschauen. Weniger komplette Abkehr von den Nolan- und Snyder-Batmans der letzten Jahre denn deren radikale Weiterentwicklung und Zuspitzung gewinnt Matt Reeves‘ atmosphärisches Antisuperheldenepos einer eigentlich sattsam durchgespielten Figur tatsächlich noch mal aufregende neue Facetten ab. Ein düsteres Meisterwerk für düstere Zeiten.