Die neue Gap-Podcast-Kolumne fragt sich, was es mit der wiederentdeckten Hollywood-Liebe für Nicolas Cage auf sich hat – und warum neue Studioproduktionen so wenig mit seiner einzigartigen Erscheinung anzufangen wissen.

Es ist immer erbaulich, mit Menschen, die einem etwas bedeuten, auf einer Wellenlänge zu sein. Noch erbaulicher ist es, wenn man mit exakt jenen bedeutsamen Personen auf einer Wellenlänge ist, die diese Wellen selbst schlagen. Vor allem dann, wenn man sich des Gleichklangs ganz unvermittelt gewahr wird. Als etwa Nicolas Cage unlängst in der Late Show mit Stephen Colbert zusammensaß und von diesem nach den persönlichen Top Five aus seinem Œuvre befragt wurde, zählte er tatsächlich fünf Filme auf, die auch das Herz des Schreibers dieser Zeilen besonders wild zum Schlagen bringen: Pig, Mandy, Bringing Out the Dead, Werner Herzogs Bad Lieutenant und Joe.

Keine Rede war da von Kassenschlagern aus seiner Nineties-Superstar-Ära mit Face/Off, The Rock oder Con Air, und auch keine von Kritikerhits wie Adaptation, Arizona Junior oder Leaving Las Vegas (Hauptdarsteller-Oscar!). Wenig überraschend auch, dass all die in den 2010er-Jahren zur Tilgung hoher Steuerschuldenberge jährlich im halben Dutzend gedrehten, zuverlässig durchgeknallten Direct-to-Video-Titel mit närrischen Benamsungen wie Vengeance: A Love Story oder Pay the Ghost, keine Erwähnung fanden – und bezeichnenderweise auch nicht das Projekt, für das bei Colbert die Werbetrommel gerührt werden sollte: Renfield. Möglicherweise, weil zwischen den beiden Erscheinungen ein bedauerlicher Zusammenhang besteht? Doch dazu gleich mehr.

Widerwilliges Nepo Baby

Zuvor sollten wir uns aber vielleicht überhaupt noch einmal vor Augen führen und in Erinnerung rufen, dass es auf dieser Erde tatsächlich keinen zweiten Schauspieler wie Nicolas Cage gibt. In einer Branche, die immer mehr auf Risikominimierung bedacht ist, setzt das widerwillige Nepo Baby Cage (dass er der Neffe von Francis Ford Coppola ist, sollte ihm nicht als Karrierekatalysator dienen) seit mehr als vier Dekaden alles auf eine Karte, koste es, was es wolle – oft genug auch ihn selbst. Weil es sein Berufsethos gar nicht anders zulässt.

Cage selbst nennt seine Herangehensweise an die Profession salopp „Nouveau Shamanic“: Um Figuren und ihre emotionalen Wahrheiten möglichst authentisch wiedergeben zu können, strebt er beharrlich danach, eine Art schamanisches Bewusstsein zu entwickeln, um sich auf diese Weise gleichsam in einen „verrückten“, befreiten Zustand jenseits aller Fremd- und Selbstbeschränkungen versetzen zu können.

Mit dem Aperçu „The actor swims in the same waters that the psychotic drowns in“ hat der 59-Jährige diesen Prozess kürzlich in einem Interview auch sehr, sehr Cage-esk auf den Punkt gebracht. Ein Prozess, dessen unkonventionelle, unberechenbare Früchte in mittlerweile über 100 Filmen im wahrsten Sinne des Wortes zu bewundern sind.

Da man während der erwähnten ausgedehnten Trash-Movie-Epoche allerdings oft den Eindruck gewinnen musste, es ginge nur noch darum, immer und immer wieder maximal heftige Gesten und theatralische Exzesse zu befeuern, um daraus viele, viele viral verwertbare Momente extrahieren zu können, geriet die angestrebte emotionale Wahrhaftigkeit zwischenzeitlich wahrnehmungstechnisch auch mal etwas in den Hintergrund. Umso erfreulicher ist es, dass Cage in jüngster Zeit nicht nur eine Kehrtwende hin zum ambitionierten Autorenkino vollzogen hat, sondern einige der aktuellen Ausflüge in diese Gefilde – wie eben die formidablen Indie-Experimente Mandy und Pig – sogar zu seinen eigenen Favoriten zählt.

Exzentrik ohne Lächerlichkeit

Womit wir wieder beim Anlass des Late Show-Auftritts wären, der Horrorkomödie Renfield, dem jüngsten Kapitel in Cages aktueller Karrierephase der wundersamen Wiedereingliederung in das Hollywood-Studiosystem. Diese wurde spätestens im letzten Jahr durch das postmoderne Gaudium Massive Talent eingeläutet, das eine überzeichnete Version seiner Persona nur für einige gehaltlose Kichereien nutzen wollte.

Ähnliches muss man nun jedoch auch für »Renfield« konstatieren – trotz der verheißungsvollen Vorzeichen: Wissend, dass Nic nicht nur ein Bewunderer von Bela Lugosis Kunst, sondern auch von F. W. Murnaus S/W-Meilenstein Nosferatu ist, scheint er geradezu prädestiniert für die Interpretation des Proto-Blutsaugers Dracula. Und wahrlich, Cage tobt sich mit durchweg gehaltvoller Exzentrik am Fürsten der Finsternis aus, ohne ihn dabei der Lächerlichkeit preiszugeben: eine Kombi, in der Tat so aufregend, wie man sie sich vorgestellt hat.

Blutleer trotz Cage-Magie

Doch leider ist Cages transsilvanischer Graf, wie der Filmtitel suggeriert, oft nur Zaungast in der banalen Geschichte seines entfremdeten Weggefährten Renfield (in mehrfacher Hinsicht blass: Nicholas Hoult), die zudem in einen zutiefst generischen Crime-Plot verwoben ist, der dem Werk schon früh jeglichen Horror und Humor, ja, aussaugt.

Man hat den Eindruck, hier zwei Filme zu sehen, die im Grunde wenig kompatibel sind: Den einen, in dem ein wahrer Ausnahmekönner mit enormer Hingabe eine ikonische Figur zum (ewigen) Leben erweckt. Und den, sorry, blutleeren anderen, der sich lediglich all dieser magischen Cage-Momente bedient, in der Hoffnung, dass die eigene Substanzlosigkeit und Inhaltsleere niemandem auffällt. Solcherart unterscheidet sich Renfield in gewisser Weise also auch nur durch sein höheres Budget von all den B- und C-Movies, die bis vor Kurzem die sogenannte Cage Rage zynisch auszunutzen wussten.

Umso mehr wünscht man dem virtuosen Vielgesichtigen nach seiner nunmehrigen Rückkehr in die Studiomaschinerie auch dort Filme, die ihm auf Augenhöhe begegnen möchten. Filme, die nicht nur seinen (wiedererwachten) kommerziellen, sondern auch seinen künstlerischen Wert wirklich zu schätzen wissen und nicht bloß die schrägen, lauten, wilden Momente. Filme also, die Nic Cage ohne Zögern auf Bestenlisten setzen würde – und natürlich auch alle, die sich auf seiner Wellenlänge wähnen.