1A-Anschluss unter dieser Nummer: Der beste Stephen King-Film seit langem kommt von dessen Sohn Joe Hill: aufreibende, hammerharte Hochspannung mit instant-ikonischem Bösewicht und dem Herz am rechten Fleck.

Darum geht’s: Gefühlt muss es in den Neunzigern gewesen sein, dass es zuletzt einen Monat gegeben hat, in dem nicht ein neuer Film oder eine neue Serie aus einem dieser beiden, nun ja, Genres angelaufen wäre. Die Rede ist von den omnipräsenten Adaptionen von (Superhelden-) Comics auf der einen, sowie von den Adaptionen von kurzen oder langen Geschichten von Stephen King auf der anderen Seite der Ideen-Medaille. Während über ersteres Phänomen – auch hier – schon hinreichend lamentiert wurde (Conclusio: keine Ende in Sicht), wird über die am King-Oeuvre ausgerichtete andere Überdosis beinahe zu wenig gesprochen. Dabei könnte einen schon ein kurzer Blick in die Filmdatenbank IMDb das Fürchten lehren: Allein mit den gerade in Entwicklung befindlichen oder kurz vor Release stehenden King-Bearbeitungen ließen sich ganze Vorschauschriften in Telefonbuchstärke füllen. Der Folder mit den in letzter Zeit gelungenen Werkbearbeitungen würde vergleichsweise schmäler ausfallen – woran neben den (oft nicht) gefundenen Zugängen mitunter halt auch die zugrunde liegenden schuld sind, so ehrlich darf man sein. Was das nun aber alles mit dem hier behandelten Werk zu tun hat? Nun ja, The Black Phone ist vermutlich der gelungenste Stephen-King-Film seit längerer Zeit. Obwohl der Master of Horror selbst gar nichts zu tun hatte – oder besser gesagt: bloß indirekt.

Unverkennbar trägt diese Kurzgeschichten-Adaption nämlich die hypercharakteristische DNA von so, so vielen King-Storys. Idylle der Vorstadt? Check! Böses, das sich in selbiger breit macht, mit entsetzlichen Ergebnissen? Check! Die in Gefahr gebrachte Unschuld, die sich – gern auch im Verbund mit übersinnlichen Kräften – sodann an die Überwindung des Ungemachs machen muss? Check! Stranger Things have happened … The Black Phone ist pikanterweise aber nicht nur auf der inhaltlichen Ebene stark von der King-DNA informiert, sondern im ureigentlichen Sinne des Wortes von ihr durchdrungen – entspringt die Story doch der Feder eines gewissen Joe Hill, seines Zeichens: Stephens Sproß. Herr Hill findet sich freilich längst auch selbst in den weltweiten Bestseller-Listen wieder und kann darüber hinaus seit geraumer Zeit auch auf eine verstärkte Präsenz am Bewegtbild-Sektor verweisen, die jener des Vaters zwar noch in einigem nachsteht (wie könnte es aber auch anders sein?), aber doch schon für einige Duftmarken gut war: die Serien Locke & Key und NOS4A2 waren mittlere Streaming-Hits und das ultraweirde Horns brachte im Kino einen Daniel Radcliffe zum Vorschein, wie man ihn so noch nicht kannte. Dessen ungeachtet: The Black Phone ist nun noch mal aus ganz anderem Holz geschnitzt. Aus ausgesuchterem, feiner verarbeitendem und, ja, auch wesentlich härterem Holz.

Als Mr. King himself diese von Scott Derrickson verantwortete Verfilmung der Sohnemann-Story als „Stand by Me in der Hölle“ bezeichnete, hätte er den rostigen Nagel damit nicht besser auf den Kopf treffen können. Denn noch bevor das wahrhaftig Böse in sein Leben treten wird, ist der Alltag von Finney Shaw (Mason Thames) in den späten Siebzigern in Colorado alles andere als in Ordnung: in der Schule wird er von Halbstarken drangsaliert, zuhause lässt der seit dem Tod der Mutter heftig trankelnde Vater (Jeremy Davies) seinen Frust an Finney und seiner jüngeren Schwester Gwen (Madeleine McGraw) aus – gern mit dem Gürtel. Und als ob die Welt damit noch nicht ausreichend in Scherben läge, treibt in Suburbia auch noch ein Kinderverzahrer sein Unwesen, den die Behörden auch nach dem zigten Teenager-Verschwinden noch nicht dingfest machen konnten. Und so kommt es wie es kommen muss: eines weiteren helllichten Tages steht der gefürchtete schwarze Lieferwagen mit den schwarzen Luftballons (is this It?!) plötzlich vor Finney – und ehe es sich dieser versieht, findet er sich schon im finsteren Keller des „Grabber“ (Ethan Hawke) mit seinen merkwürdigen Masken (entworfen von Makeup-Koryphäe Tom Savini) wieder. In jenem befindet sich außer einer ranzigen Schlafstätte eigentlich nur noch ein schwarzes Wählscheibentelefon. Vermeintlich ohne Anschluss läutet es für Finney aber bald erstaunlich regelmäßig – in der Leitung: frühere Entführungsopfer, die ihm aus dem Jenseits sachdienliche Hinweise geben, wie er sein Schicksal doch noch zum Guten wenden kann.

Dass Regisseur Derrickson das Horror-Handwerk mit guter Kompetenz beherrscht, legten bereits Werke wie Der Exorzismus von Emily Rose oder Sinister nahe – zweitgenanntes entstand auch schon im Verbund mit Hawke und der einschlägigen Produktionsbude Blumhouse und bescherte uns eine der mächtigsten Gänsehautszenen der jüngeren Spukfilmgeschichte. Dass er nach seinem Abstecher ins Marvel-Blockbustertum (mit Doctor Strange) nicht nur nichts verlernt, sondern sein Skill Set vielmehr noch mal auf einen neuen Stand des Furchteinflößens gebracht hat, beweist nun diese, seine bislang beachtlichste Arbeit. Fotografiert in authentisch ausgestalteter Dekaden-Ästhetik und geführt von einem ziemlich perfekten Cast (mehr weiter unten) tauchen wir ein in einen Vorstadtkosmos, in dem die Atmosphäre quasi von Beginn an zum Greifen unbehaglich ist. Vergeblich sucht man in diesem beklemmenden Setting die Unschuld, die noch verloren gehen könnte – doch die hat sich hier schlicht nie angesiedelt.

The Black Phone bietet eine für eine solche High-Profile-Produktion ungewohnt aufreibende, schonungslose Schauerfahrung – mitunter geht es in diesen 100 Minuten wahrlich desolat und brutal zu, nicht zuletzt auch in emotionaler Hinsicht. Zwischen realitätsnahem Ungemach und übernatürlichen Eskalationen findet Derrickson (zum Glück) zwar keine psychologischen Erklärungen für das tödliche Treiben des maskierten Meuchlers, wohl aber trotz all des Horrors doch noch Hoffnung und sogar Herz – etwa in Form des geschwisterlichen Bands zwischen Finney und Gwen, das auch für die eine oder andere Überraschung gut sein wird. The Kids Are Alright: Es sind eben, once again, die Erwachsenen, die die Not nicht sehen oder sie gar selbst verursachen. Alles andere als ein Notfall ist hingegen, und das muss als die finale erfreuliche Errungenschaft dieses Films festgehalten werden, der dritte Akt, in dem die zuvor so sorgsam gesponnenen Handlungsfäden auf tatsächlich fesselnde, befriedigende, gar rührende Weise zusammenfinden: Eine Ende, das tatsächlich so stimmig und rund ist, dass man es nicht nur wie so oft in diesem Genre nicht verdrängen, sondern vielmehr gern noch lang in Erinnerung behalten will und wird – wie eigentlich auch alles andere davor. Unter diesem Anschluss erwartet einen: ein Glücksfall für das kommerzielle Gruselkino.

Besondere Beachtung: Viel wurde vorab über Ethan Hawke und seine erste Bösewicht-Rolle geraunt (Moon Knight entstand später). Trotz eines verstörend gut ausgearbeiteten Figur wird man nach dem Film aber zuerst von der jungen Kollegin sprechen, die nicht nur ihm die Show kontinuierlich stiehlt: Madeleine McGraw als frechdachsige kleine Schwester mit Draht zum Übersinnlichen, die auch nicht davor zurückschreckt, Bullen und Bullys eine Goschn anzuhängen und diesen sonst so grimmigen Film damit um willkommene leichtere Noten bereichert. Nicht vergessen sollte man dabei freilich die nuancierte Lead Performance des jungen Mason Thames, der den Film mit einer Mischung aus Verletzlichkeit, Resilienz und Trotz über weite Strecken trägt.

Koordinaten: Stand By Me; Twilight Zone; The Shining

Anschauen oder auslassen? Anschauen. Oder eben: abheben, wenn Scott Derricksons Horror-Comeback anruft. Ein erstklassiges Kinderdarstellerduo, ein instant-ikonischer Bösewicht, der auf frische Weise furchterregend ist, ein grimmiger bis nervenzerfetzender Mix aus Ultrarealismus und Übernatürlichem, der sogar die stets schwierige finale Landung unfallfrei hinbekommt: Schon lange nicht mehr so beglückt aus einem Mainstream-Horrorthriller gestapft.